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Was ich am Mama-Sein nicht mag

"Ist es nicht wunderschön, Mama zu sein?!" 

In den ersten Lebensmonaten meines Sohnes hab ich auf diese Frage mit verträumtem Blick "Ja!" geantwortet. Die Magie des Anfangs und die Stillhormone dazu haben mich damals in rosarote Watte gepackt. Schön war das. Absolut erfüllend!

 

Nun begegnet mir diese Frage nach wie vor. Aber plötzlich kommt sie mir nicht mehr so als Frage vor, sondern das Rufzeichen am Ende wird für mich immer deutlicher. Denn meistens wird nichts anderes als ein "Ja" geduldet. 

Ich merke zunehmends, dass ich dabei inneren Widerstand spüre. 

 

Seit gestern Abend erlaube ich mir, das Mama Sein nicht mögen zu müssen. 

Puh, ich merke gerade beim Niederschreiben, welche Kraft mir diese Freiheit zurückgibt. 

Dass ich das Mama-Sein nicht liebe, heißt nicht, dass ich mein Kind nicht liebe

Vorweg: 

Das hat rein gar nichts mit meinem Sohn zutun. 

Ihn liebe ich tiefer, als ich mir je vorstellen konnte. Und wie stolz ich auf ihn bin! Auf seinen Humor, seinen lebendigen Entdeckergeist, seine Wild- und Zartheit, seine Klugheit und seine Wachheit. Ich verbringe so gern Zeit mit ihm. 

 

Es ist auch nicht so, dass ich die Mutterrolle und ihre Aufgaben grundsätzlich nicht leiden kann. Aber es gibt einiges davon, was mir einfach nicht taugt (oder wofür ich nicht tauge). 

Zum Beispiel:

  • Die viele Zeit, die man für die Wäsche, das Aufräumen, Putzen, Kochen, Ausmustern und Intimhygiene des Babys/Kindes braucht. Ich weiß, dass das alles wichtig ist. Aber es unter- und überfordert mich zugleich. 
  • Dass ich noch immer nicht laufen kann, ohne dabei 2 mal meine Blase entleeren zu müssen.
  • Täglich grüßt das Murmeltier: Jeden Tag dasselbe. Ja, Rhythmus ist gut. Aber soviel davon? Und wenn man nicht auskann?
  • Dass sich 90 % aller Gespräche um das Kind bzw. Erziehung drehen 
  • Die Challenge für die Paarbeziehung
  • Die ungefragten Kommentare und Ratschläge anderer [Besonders schlimm: von Kinderlosen]
  • Dass die eigenen Geschlechtsorgane plötzlich hauptsächlich zu Funktionsorganen werden. Parallel dazu, dass die Mutterrolle soviel Raum einnimmt, dass das Frau-Sein und viele andere Persönlichkeitsaspekte auf der Strecke bleiben. 
  • PMS und gleichzeitig Verantwortung für jemand anderen tragen
  • Wenn Väter mit ihrem Kind spazieren gehen, denken sich die meisten: "Was für ein lieber Papa". Bei Müttern ist es selbstverständlich. (Das zieht sich durch alle Kind-Bereiche)
  • Die vielen Vorurteile, die einem als Mama begegnen. 
  • Der gesellschaftliche Druck, der auf einem lastet. Mama soll gesunde Kinder erziehen und bald wieder arbeiten gehen und zwar möglichst viel!
  • Das Spiel mit der Geduld und den eigenen Grenzen. Die Wut als Reaktion. 
  • Immer die "Klügere" sein müssen mit dem Blick hinter die Bedürfnisse, Verhaltensweisen,.......
  • Der Schlafmangel
  • Dass plötzlich nichts mehr planbar ist und Pünktlichkeit oft zur Riesen-Challenge wird
  • Dass man sich bei Treffen mit Freundinnen kaum mehr ungestört unterhalten kann, weil sich alles um die Kinder dreht, die mit von der Partie sind
  • Die automatischen Vergleiche und Standardfloskeln (z.B. "Das ist nur eine Phase.")
  • Dass die wenigsten hören möchten, dass man das Mama-Sein nicht vollständig erfüllend findet

[Das war gerade sehr befreiend. Ich kann es nur empfehlen, sich auch hinzusetzen und darüber nachzudenken.]

Diese Liste ist unvollständig.  

Ist Veränderung möglich?

Eine Stimme in mir meint, das sei ja alles hausgemacht. Nichts davon müsse sein. 

 

Wie recht sie hat! Und aber auch, wie naiv sie ist!

Denn es ist nicht einfach, sich "so mir nichts, dir nichts" von den angeführten Dingen zu trennen. Das meiste davon ist in unserer Zeit in unserem System unweigerlich mit dem Mama-Sein verbunden. Und manchmal auch mit den eigenen Werten. 

 

Und doch hat sie eben auch recht, Veränderung ist möglich.

Nicht sofort und komplett,

aber Feinjustierungen und Schritt für Schritt. 

Das Eingeständnis bringt Erleichterung

Für mich persönlich hat sich seit gestern schon viel getan. 

Dieses Eingeständnis fühlt sich als Akt der Würdigung meiner Selbst an. Dass ich mich ernst nehme und mich nicht verurteile. 

Dass ich mir erlaube, Dinge nicht mögen zu müssen und mein eigenes Wertesystem erstellen zu dürfen. 

 

Das Auflisten führt mir vor Augen, dass es sich um konkrete Dinge handelt, die greifbar sind, anstatt diffuse Gefühle. 

Nur so kann ich auch anfangen, daran zu feilen und meine Art, Mama zu sein zu formen. 

 

Vielleicht ist es ja so wie bei Michelangelo, der meinte, die Figur war schon in dem rohen Stein drin.  Er musste nur noch alles Überflüssige wegschlagen.

Indem ich beginne, das zu lassen bzw. zu verändern, was mir nicht entspricht, erschaffe ich mein persönliches Mama-Sein, das ich lieben kann. 

Man muss das Mama-Sein nicht lieben, um eine gute Mama zu sein

Und falls mir das nicht so schnell gelingt, glaube ich trotzdem, dass ich eine gute Mutter bin.

Eine bemühte, zugewandte, witzige, authentische, kritische und reflektierte Mama. Ich, Irene.