Vierblättriges Kleeblatt

Heute im Wald stand ich in einem Kleeblattfeld. Weit und breit leuchtete das Grün des Klees, trotz der zunehmenden Herbstwitterung und der Einkehr seiner typischen erdigen Farben.

Wie sollte es anders sein, suchte ich nach einem vierblättrigen. Glück – ja, das wollen wir alle und kaum etwas verheißt dies so sehr wie das „zufällige“ Finden dieses Symbols.

Keine Chance. Trotz intensiven Suchens fand ich keines. Ich führte meinen Spaziergang fort und sinnierte. Die Wahrscheinlichkeit, ein solches zu finden lag – so fand ich später heraus – bei etwa 1: 10 000. Es handelte sich eigentlich um einen Genfehler. Schließlich hatte Klee normalerweise nur drei Blätter. Ein willkommener Genfehler, bei dem man die Besonderheit und Andersartigkeit schätzt.

Aber wie war das bei Kindern?

Bereits bei der ersten Mutterkind-Pass-Untersuchung wird von Pränataldiagnostik gesprochen. Schon rein aus rechtlichen Gründen müssen Frauenärzte dazu raten, den Fötus auf verschiedenste Weise zu screenen, um etwaige Fehlbildungen vorauszusehen. Da gibt es Fruchtwasseranalysen, Zelluntersuchungen, spezielle Organscreenings und vieles mehr.

Natürlich werden diese Untersuchungen nicht gemacht, um eine willkommene Besonderheit eines Kindes zu erforschen, sondern mit der Angst, dass eine solche zutreffen könne.

Und was dann?

 

In Island gibt es fast keine Menschen mehr mit Chromosomenstörungen wie Trisomie 21.

Warum? Diese haben das Licht der Welt nie erblickt.

Auch in Österreich geht der Trend in diese Richtung. Spätabtreibungen bei Behinderung sind noch bis kurz vor der Geburt möglich.

Liegt die Pränataldiagnostik immer richtig?

Ich kenne mindestens drei Menschen in meinem engeren Bekanntenkreis, bei denen im Mutterleib eine schwere Behinderung vermutet wurde, die aber völlig gesund zur Welt kamen.

Aber davon abgesehen möchte ich Bernhard Gitschtaler aus seinem Buch „Papa werden“ zitieren: „Ein Kind mit einem Gendefekt oder einer Chromosomenstörung mag anders sein als der Großteil der anderen Kinder. Dieses Kind macht das Leben für die Eltern aber nicht unbedingt schwer. Es ist unsere Gesellschaft, welche den Eltern das Leben zur Hölle machen kann. Deshalb sollte auch das Kind nicht ´wegmüssen´. Die Gesellschaft muss sich ändern.“

 

Mein Kind und ich sind nun in der 27. Schwangerschaftswoche angelangt. Alleine schon wegen der täglich wachsenden Bindung und Liebe würde es mir nicht im Traum einfallen, es „Fötus“ zu nennen. Aber offiziell wird mein Baby bis zur Geburt noch als Fötus bezeichnet. Ein Ausdruck, der für mich zutiefst depersonalisiert. Ein Neugeborenes zu töten, würde keinem gesunden Menschen mehr einfallen. Aber einen Fötus?

Mir wird gerade sehr kalt. So kalt, als lebten wir im Eiszeitalter.

 

Wenn es nach mir ginge, sollten Gendefekte beim Kind so wie beim vierblättrigen Kleeblatt ein Zufallsfund sein und unser Blick darauf weit mehr so, als würden wir ein eben solches betrachten.

 

(Dieser Text stammt aus meinen persönlichen Schwangerschaftsaufzeichnungen aus dem Jahre 2022.)