Hochsensibel Mama werden

Immer wenn ich meine Freundin frage, wie es ihr in der Schwangerschaft gehe, sagt sie "gut" und "sie könne sich nicht beklagen". 

Ich frag mich dann immer, ob das sein kann. Denn wenn ich an meine Schwangerschaft zurückdenke, waren da so viele verschiedene Phasen: wunderschöne, rosarote und auch schwere, mich völlig überfordernde. 

Und das ganze hat sich auch manchmal vermischt. Zur selben Zeit war es wunderbar und auch wieder nicht. Jeder Moment unglaublich facettenreich. 

Oft schon ist in mir der Gedanke gekommen, dass mit mir etwas nicht stimme, weil ich eigentlich nie so geradlinig antworten kann, wie etwas für mich sei. Auf jedes "Wie geht es dir?" könnte ich mit einem Aufsatz antworten, was ich natürlich nur bei ausgewählten Menschen mache - bei denen, die ich gut genug kenne, um beurteilen zu können, dass es sie wirklich interessiert.

 

Lange dachte ich auch, andere sagen die Unwahrheit oder unterdrücken etwas, wenn sie so antworteten, wie meine Freundin.

Ich beobachtete sie genau, um einen Beweis zu finden. Es konnte doch nicht sein, dass sie eigentlich die ganze Schwangerschaft lang weitertat wie bisher: übermäßig arbeitete und sich zusätzlich engagierte (in meinen Augen einen stressreichen Alltag bestritt), ohne dass das irgendwelche Auswirkungen hatte? Doch nun ist sie ein paar Tage über ihrem Geburtstermin und es geht ihr "gut". 

 

Inzwischen glaube ich ihr. Glaube, dass es sogar der Mehrheit der Menschen entspricht, so zu antworten. 

Als hochsensible Mama ist alles anders.

 

Während meiner Schwangerschaft reagierte ich auf Stress jeglicher Art sehr sensibel. 

Ob es hohe Anforderungen im Außen waren, wenig Schlaf oder die Existenzängste, die mich zu dieser Zeit begleiteten. Aber auch die schlechte Stimmung von anderen, eine verbrauchte Luft und mein sich täglich verändernder Körper. 

Die Liste war lang. 

 

Heute weiß ich etwas, das ich gerne damals gewusst hätte: Nämlich, dass ich damit kein Einzelfall war, auch wenn die Mehrheit der Frauen nicht so sensibel reagierte. 

Denn wenn man so will, gehöre ich zu den etwa 20 Prozent der Menschen, die man als "hochsensibel" oder "hochsensitiv" bezeichnet. 

 

Der Begriff "Hochsensibilität" ist zurzeit sehr modern und die meisten haben schon davon gehört. Und doch gibt es sehr viel Missverständnis und sehr wenig Verständnis. 

Irgendwie auch logisch: Denn so wie es mir schwerfällt, mir vorzustellen, wie es ist, weniger intensiv wahrzunehmen, 

so fällt es natürlich auch umgekehrt schwer. Und die Mehrheit (vier Fünftel) der Gesellschaft dominiert das bisherige Verständnis von "normal".

Hochsensibilität ist keine Diagnose, sondern Wesensmerkmal!

 

Hochsensibel zu sein bedeutet nüchtern und einfach gesagt, wesentlich mehr Reize verarbeiten zu müssen.

Der Reizfilter von HSP´s (hochsensiblen Personen) ist sehr grobmaschig gestrickt. Er filtert wenig vor und deshalb ist das Gehirn Hochsensibler pausenlos am Arbeiten. 

Das bedeutet, dass HSP´s viel mehr wahrnehmen, aber natürlich davon auch immer wieder überfordert werden.

Besonders dann, wenn man den eigenen Lebensstil nicht der Hochsensibilität anpasst. 

 

Es gibt vier evidenzbasierte Eigenschaften, die alle hochsensiblen Menschen gemein haben: 

1. Verarbeitungstiefe

2. Übererregbarkeit/Überstimulierung

3. Ausgeprägte Feinfühligkeit und intensives emotionales Erleben

4. Sinnessensibilität

 

Hochsensibilität und Stress

 

Für mich war es ein Meilenstein zu erkennen, dass nicht nur äußere Geschehen Stress erzeugen können. 

Also nicht nur viel Arbeit, viele Termine, wenig Schlaf, hohe Lautstärke, starke Gerüche, viele Menschen auf einem Haufen, Schicksalsschläge ....

sondern auch innere Vorgänge sind mögliche Stressoren. 

So zum Beispiel Hunger, Schmerzen, Sorgen, Ängste, Weiterentwicklungsprozesse, innere Überzeugungen, Hormonveränderungen,.....

 

Hochsensitive Personen nehmen nicht nur Äußeres viel intensiver wahr, sondern auch Inneres.

 

Hochsensibel schwanger sein

 

Nun kann man sich vorstellen, dass eine Schwangerschaft für hochsensible Frauen eine sehr intensive Erfahrung sein kann.

Ist sie doch eine einzige Hormonumstellung und die zusätzliche Schärfung aller Sinne!

 

In Momenten der Überforderung hab ich meine Sensibilität oft verflucht. Ich fühlte mich so schwach, wusste meist nicht, was mit mir los war und hatte es satt, dass mich viele meiner Freunde nicht verstanden. Es machte mich einsam. 

Was ich damals noch nicht verstand, war die Fülle, die mir gleichzeitig durch mein sensibles Wesen geschenkt wurde. 

Denn meiner ausgeprägten Feinfühligkeit verdankte ich auch, dass ich mich mit dem Kind in meinem Bauch absolut verbunden fühlte.

Täglich weinte ich vor Rührung, weil mich Liebe und Vorfreude durchströmten. Ich fühlte mich so gesegnet und beschenkt. 

(Noch heute stehen regelmäßig Tränen der Dankbarkeit und Demut in meinen Augen.)

Ich tanzte und musizierte innig mit dem Babybauch. Und betete jeden Tag. 

Tagträumend lag ich da und malte mir die Bilder von unserer Zukunft aus. 

 

Weil ich Stress mehr wahrnahm, zog ich mich viel zurück. Und dieser Rückzug gab mir die Zeit, meine Schwangerschaft zu zelebrieren. Sie verflog nicht und ich hatte nie das Gefühl, sie zu verpassen. Mit Haut und Haaren war ich da. Bis zum letzten Tag genoss ich die starke Verbundenheit mit meinem Baby im Bauch und es hätte ruhig noch länger dauern können. 

Als hochsensible Mama ist alles anders!

Als ich meine Freundin fragte, ob sie das Schwangersein auch vermissen würde und sie verneinte,

da wurde mir die andere Dimension der Hochsensibilität bewusst. 

Sie ist nicht nur Fluch. Sie ist Segen! 

Um nichts in der Welt würde ich das intensive emotionale Erleben eintauschen wollen, die Tiefe!

 

Ja, die Schwangerschaft war überfordernd. Und ja, sie war mir heilig!