Der Tanz mit den Wölfen

(Dieser Text stammt aus meinen persönlichen Aufzeichnungen von 2022.)

Eine Schwangerschaft bedeutet eine Verantwortung, die man in dieser Form noch nie erlebt hat.

 

Für sich selbst verantwortlich zu sein ist die eine Sache. Ein völlig auf dich angewiesenes, zerbrechliches, grenzenlos in dich vertrauendes und noch unbeschadetes Wesen in dir zu tragen, eine ganz andere. Als werdende Mutter möchte man die allerbesten Bedingungen schaffen, um dies zu gewährleisten. Von basalen Dingen angefangen wie genügend Nährstoffen, wenig Schadstoffen und ausreichend Ruhe, hin zu wenig Stress und die eigenen lebensabträglichen inneren Muster nicht weitergeben.

 

Wir verlangen uns einen Lebensstil ab, zu dem wir bislang meist nicht fähig waren, solange es nur um Selbstverantwortung ging. Und weil der Alltag trotzdem bewältigt werden will und alte, eingefahrene Gewohnheiten gerade in Stresssituationen die Überhand nehmen, drückt das schlechte Gewissen. Was wiederum Schuldgefühle erzeugt, weil man weiß, dass Bäuchlinge die mütterlichen Emotionen mitfühlen und man ihnen permanentes schlechtes Gewissen ja auch nicht zumuten möchte.

Ein verzwickter Teufelskreis. Zumindest empfinde ich das so.

In mir gibt es eine sehr stark selbstkritische Instanz. Ein innerer Kritiker, der meinen Fokus wesentlich darauf richtet, was ich falsch oder unzureichend mache. Ein Anteil, der höchste Erwartungen an mich stellt und dem es sehr schwer fällt, stolz auf mich zu sein, wenn ich diesen entspreche. Hätte er ein Gesicht, dann wäre es Clint Eastwood´s in „Million Dollar Baby“.

Schwangerschaftsbeschweren wie Sodbrennen, Erschöpfung oder eine gewisse „Sozialphobie“ schimpft er als Schwächen und stellt sie als mein Verschulden dar. Er kennt kein Erbarmen in der Forderung, mehr zu geben und härter zu trainieren. Und wie Maggie Fitzgerald sehne ich mich eigentlich nach nichts mehr als nach seiner Zuneigung und Bestätigung.

Ein äußerst naives Unterfangen, wenn man bedenkt, dass Menschsein an sich bedeutet, nicht perfekt zu sein.

Heute Morgen erwachte ich mit Kopfschmerzen und Gedankengewitter in meinem Kopf. Clint wies mich darauf hin, dass ich gestern viel zu spät ins Bett gegangen war. Üblicherweise jagte er mich in diesem Fall in meinen Trainingsraum (eigentlich mein Meditationsraum), um alles zu geben, dem entgegenzuwirken. Doch nicht heute. Heute schien er frei zu haben. Das irritierte mich etwas, denn ich war an ihn gewöhnt und das gab mir Sicherheit, auch wenn er ein zynischer, alter Bock war.

 

Vorerst noch vorsichtig begann ich damit, nicht seinem Trainingsplan zu folgen, sondern spielerisch zu versuchen, was mit gut tat. Keine Kontrolle, kein Plan, nur Freiheit. Dabei meldete sich plötzlich ein anderer innerer Anteil. Es ist einer, der mir nicht komplett neu war, der aber nur selten zu Wort kam. Oder hörte ich ihn einfach oft nicht, weil seine Sprachweise wesentlich ruhiger und unaufdringlicher war als Clint´s und damit in den Hintergrund trat?

Dieser Anteil flüsterte mir zu, dass es gut war, wie es ist. Dass Kopfschmerzen und die vielen Gedanken da sein dürften und ich mich dagegen nicht wehren bräuchte. Selbst wenn ich dazu neigte, eine innere Abwehr oder Spannung zu erzeugen, meinte diese innere Stimme voller Wohlwollen, ich solle einfach ohne Druck wieder zu mir und ihr kehren, sofern ich das mochte. Dieser Anteil sprach aus vollstem Verständnis, erfahren und weise, voller Liebe und Wohlwollen und trotzdem mir etwas zutrauend.

 

Hätte dieser Anteil ein Gesicht, so wäre es das von Elizabeth Gilbert.

Und siehe da, meine Kopfschmerzen waren plötzlich wie weggefegt. Sie hatten Elizabeth Platz gemacht.

 

Später musste ich darüber nachdenken und mir fiel die Geschichte der zwei Wölfe ein. Ein weiser Indianer erzählt darin seinem Enkel, dass in uns zwei Wölfe kämpfen. Gewinnen tut jener, den wir füttern.

 

Hatte ich Clint mit meinem Streben nach seiner Anerkennung zu viel gefüttert? Ja, er hat mir viel beigebracht und dafür bin ich ihm auch dankbar. (Jetzt stell ich mir Clints Gesicht auf einem Wolfskörper vor.)

Er hat mich gelehrt, genau, diszipliniert und bis zu einem gewissen Grad auch erfolgreich zu sein. Mir Ziele zu setzen und durchzuhalten. All das kann mir niemand mehr nehmen.

Doch wenn ich genauer hinsehe, merke ich, dass seine Methoden unzeitgemäß sind und er mir nicht mehr viel beibringen kann. Sein Wolfskörper ist alt geworden und auch wenn er ein „zacher Hund“ alias Wolf ist (Clint Eastwood ist inzwischen 92 Jahre), so hat er an Alpha-Tier-Qualitäten stark eingebüßt. Ich denke, es ist Zeit für einen Rudelsführungswechsel. Ich höre auf, ihn mit (Kraft-) Futter zu füttern. Er hat das Recht darauf, seinem Alter und seiner Erfahrung entsprechend milder, weiser, versöhnlicher, demütiger zu werden.

Und das kann er nicht, wenn ich ihn in der ersten Reihe tanzen lasse.

Es ist Zeit für eine weibliche Führung! Elizabeth soll die Alphawölfin werden und das Rudel leiten. Sie bringt alles mit, was es in dieser Ära braucht und ich weiß, dass sie tough genug ist, sich bei Bedarf auch Rat aus den Wolfsreihen einzuholen.

 

Auf Elizabeth!

 

(Musiktipp an dieser Stelle: Dances with the wolves Soundtrack)