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Zeit für ein ganzes Mozzarellabällchen

Heute Vormittag, als ich ein Mozzarellabällchen auseinanderschnitt, dachte ich daran, wie ich Mozzarella "kennenlernte".

Es war in der 3. oder 4. Klasse Hauptschule im Kochunterricht. Für jede Kochstunde musste jemand anderer in der Mittagspause davor einkaufen gehen. An diesem Tag sollte es Pizza geben. Auf der Einkaufsliste stand "Mozzarella". Ich wusste nicht, wo ich danach suchen sollte. Ich bildete mir ein, das Wort schon mal gehört zu haben. Aber was war "Mozzarella"?!

Heute muss ich darüber schmunzeln. Einerseits wusste ich in diesem Alter die unmöglichsten Begriffe zu erklären. Kraft meiner älteren Geschwister konnte ich so manchem Gleichaltrigen was erzählen... Andererseits wuchs ich auf eine Art "hinterwäldlerisch" auf, die mich im wahrsten Sinne nicht über den Tellerrand blicken ließ. 

 

Inzwischen weiß jedes Kind, was Meeresfrüchte sind, was eine Avocado, geschweige denn Mozzarella ist. 

 

Ich muss manchmal aufpassen, nicht in eine Art Zynismus zu verfallen.

So war es auch heute beim Schneiden der Bällchen [noch heute esse ich kein ganzes Mozzarellabällchen auf einmal, so kostbar sind sie. Ich schneide sie in 2-3 Teile und zehre von einer Packung meist eine Woche]. 

"Früher war alles viel besser. Heute ist alles übertrieben, niemand schätzt mehr was."

Eine Freundin hat mir einmal erzählt, dass sie ihrem 5-jährigen Sohn manchmal angewidert zusieht, wenn er Kostbarkeiten einfach so hinunterschlingt. Auch für sie war ein Fruchtcocktail aus der Dose lange das exotischste, was sie sich vorstellen konnte. 

 

Worüber ich heute dann aber im weiteren Sinne nachdachte, war diese Tendenz in mir, Dinge von "früher" prinzipiell gutzuheißen, Neues für übertrieben oder überflüssig zu halten. 

Ich weiß, ich weiß: ich bin Baujahr 1992. Dass man da schon von "früher" redet!?

Aber die Erde dreht sich inzwischen ziemlich schnell....

 

Kassette (hartes Wort)
Kassette (hartes Wort)

 

Ist es ein Zeichen, alt zu werden, dieses "Früher war es besser"?

Alt im Geiste meine ich.

 

Ich mag nicht alt sein. Reif durchaus, ja vielleicht auch weise. Aber nicht dieses "alt", wie ich es verstehe: unbeweglich, zynisch, altvaterisch. 

Glaubend, dass das, was man selbst als "normal" kennengelernt hat, auch DAS Normal ist.

In Wahrheit die Wurzel so vieles Bösen: zu meinen, man wisse, was richtig ist. 

 

Ein Weltenbummler erzählte mir kürzlich von den vielen verschiedenen Normalitäten auf der Erde. 

Ein Frevel zu glauben, man sei diesen allen überlegen. 

 

Ich habe mal gelernt, hinter allem, was wir tun/lassen/denken/... steht eine gesunde und eine ungesunde Motivation. 

Eros und Tanatos - Leben und Zerstörung. 

 

Meine Liebe zur Nostalgie ist, so denke ich, wunderbar und vital.

Die Einfachheit, das Brauchtum, die Naturverbundenheit, das frühere Heilwissen, der Glaube....

 

Das auf-den-Podest-stellen "früherer" Dinge, das Verschweigen von Negativem und der Verschluss gegenüber Neuem ist ignorant.

 

Eine Freundin hat mir vor kurzem eine Geschichte aus ihrer Kindheit erzählt, die mir noch lange nachging. 

Besonders deswegen, weil diese Freundin ein grenzenloser Optimist ist, der sehr verzeihlich lebt und damit spart, über die Fehler anderer zu reden. Sie scheint auch sehr versöhnt mir ihrer Vergangenheit. 

Doch an diesem Tag erzählte sie mir eine Begebenheit aus ihrer Kindheit, in der die elterliche Rolle stark missbraucht und die elterliche Verantwortung mehr als vernachlässigt wurde. 

 

"Früher war das halt anders... Da war die Erziehung so. Man wusste es nicht besser. Die Eltern hatten es ja noch viel schwerer." 

Ja. Und Nein!

War das Gefühl von Moral damals echt um so vieles anders?! Noch vor 25, 30 Jahren?

 

Beschäftigt man sich mit der Geschichte, erfährt man leider wirklich: Je weiter man zurückgeht, umso anerkannter war es gesellschaftlich, zu unterwerfen. Sich auf brutale Weise zu nehmen, was man will. Und zwar auf die schwächste Art, die es gibt: mit physischer und psychischer Bedrohung und Missbrauch auf ebendiesen Ebenen. 

 

Wenn ich diese Komponente miteinbeziehe, dann hole ich früher sogleich von seinem Podest. 

 

So modern wie jetzt waren wir noch nie. Man kann sich kaum vorstellen, dass es immer noch weitergeht. 

Aber auch heute finden sich noch viele Missstände und ich bin froh, wenn sich dies weiterentwickelt. 

Vielleicht ist das Hinunterschlingen des Sohnes meiner Freundin kein Ausdruck davon, dass er jene Kostbarkeit nicht schätzt. Womöglich ist es (auch) Ausdruck davon, dass er keine Angst haben muss. Dass er das Kind einer neuen Zeit ist, in der viel zutun ist.

Und er möchte eben das beste vom besten.

Wer nicht, wenn wir uns ehrlich sind?

 

Zeit für ein ganzes Mozzarellabällchen!