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Los di ned aufhoitn

Ein sehr gängiger Spruch in unserer Familie (man könnte auch manchmal "Running Gag" dazu sagen) ist: "Los di ned aufhoitn" (Lass dich nicht aufhalten).

 

In letzter Zeit hab ich bemerkt, es am Ende einer Sprachnachricht stets statt eines einfachen Punktes zu sagen. 

Es diente als Botschaft, um dem anderen zu vermitteln, dass man dessen Zeit nicht mehr länger in Anspruch nehmen möchte. Er soll sich nicht mit Unnötigem wie dieser Sprachnachricht aufhalten.

Es diente auch als Botschaft der eigenen Bescheidenheit. Und tatsächlich manchmal damit als Selbstabwertung. 

Wollte man als Antwort ein "Du hoitst mi eh ned auf" hören?

 

In den vergangenen Jahren hat meine Familie beim Thema Selbstwert sehr viel aufgeholt: Und zwar jeder einzelne. 

Sprache ist dabei ein wichtiger Sensor geworden. Wann immer man auf ein Lob mit "Age, das können andere viel besser" antwortet oder etwas mit einem "Wegen mir brauchst ned umscheißen" ablehnt, kommt von jemandem (insbesondere meiner Mutter) ein Hinweis.

 

Für Menschen wie uns ist es schwierig, sich nicht überheblich vorzukommen, wenn man sich vor anderen selbst anerkennt.

So wie bei allen wurden auch unsere Verhaltensweisen als Kinder (meist unbewusst) bewertet, nicht nur von der eigenen Familie. Und das zu einer Zeit, in der sich der persönliche Selbstwert und das Urvertrauen aufbauen.

Facetten an uns wurden positiv und negativ beurteilt. 

Zurück bleiben ein "geliebtes" und ein "ungeliebtes" Kind, das für die "guten" und "schlechten" Eigenschaften in uns stehen. 

Diese Erfahrungen prägen uns wesentlich stärker, als wir erahnen. 

Sie sind tiefe Spuren in der Blumenwiese unseres Unterbewusstseins, tausendmal gegangen und dadurch immer wieder als Wahrheit bestätigt. 

Bis eine andere Spur so tiefe Eindrücke hinterlässt, fühlt sich dieser Weg meist nicht gut an, auch wenn er der richtige wäre: nämlich bedingungslose Selbstannahme und Ausleben unserer oft widersprüchlichen Seiten. 

Wann immer wir wieder gegen einen "geliebten" Aspekt verstoßen, stellt sich in uns ganz unbewusst das Gefühl ein, nicht liebenswert zu sein. 

Tatsächlich ist dies kein Gefühl - das, was wir spüren sind Trauer, Enttäuschung, Scham, Schuld, Wut, Hilflosigkeit. Ein existenziell sehr bedrohlicher Cocktail. 

 

Manchmal frage ich mich, warum das so schwierig eingerichtet ist, wenn es doch "richtig" wäre?

Aber dann fällt mir gedanklich Viktor Frankl ins Wort: "Frag nicht nach dem Warum, frag nach dem Wofür!"

 

Eins weiß ich: Auch wenn es sehr viel Geduld erfordert, Durchhaltevermögen und Selbstmitgefühl - es lohnt sich

Unsere Selbstliebe entspricht dem Epizentrum unserer Psyche. Von hier aus wird alles andere beeinflusst. 

Ein intelligenter Mensch hat kürzlich gemeint, der Krieg im außen korreliert mit dem Krieg in uns selbst. 

Und solange wir uns nicht selbst so annehmen, wie wir sind, nämlich fehler- und fabelhaft zugleich, herrscht in uns Krieg, 

und zugleich können wir auch andere nicht so annehmen.

Egal, ob sie uns sehr nahe stehen. 

 

Vielleicht brauch ich mein "los di ned aufhoitn" gar nicht wegzulassen, sondern darf die Bedeutung ändern.

Nämlich in ein "los di ned aufhoitn" in Bezug auf deinen Weg zum inneren Frieden. 

 

 

Hoit mi ned auf!

;-D

 

 

Danke für den Liedtipp, Schwesterlein!

Beifügung etwas später: Wahrsagerin.