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Domino-Day der erbrachten Opfer

In einem Vergnügungspark gibt es vielerlei Attraktionen: Achterbahn, Riesenrad, Geisterbahn,…
Voller Faszination machen sich Menschen von überall auf, um diesem bunten, verrückten Treiben beizuwohnen. Sie zahlen Geld, nicht mal wenig, um zumindest ein paar Minuten Teil des Spiels zu sein- um sich zu gruseln, zu fürchten, in schwindelerregende Lagen katapultiert zu werden.

 

In den letzten Tagen befinde ich mich in einer „Gefühls-Geisterbahn“ & ich würde Geld zahlen, nicht mal wenig, um bei diesem Spiel aussteigen zu dürfen.
Während eine „Gefühls-Achterbahn“ auszeichnet, dass sie einen in Windeseile in extreme Höhen und Tiefen befördert, & ein „Gefühls-Riesenrad“, dass man sich wie ein Hamster, eigesperrt in einem Rad, indem es unaufhörlich weiterzulaufen gilt, fühlt,
ist es Merkmal der „Gefühls-Geisterbahn“, dass man von einem Schrecken in den nächsten läuft, pausenlos, sich immer vorsichtiger vorantastend, um ja kein Aufsehen zu erregen.

Gefühle.
Am meisten vertraut sind uns die unangenehmen, wir können sie uns blitzschnell imaginär herholen: die Angst, die Wut, die Traurigkeit, die Ohnmacht, die Verzweiflung, den Neid, die Scham, das Beleidigtsein, die Nervosität, das Mitleid, die Kränkung, das Hochstaplergefühl, die Demütigung, usw.
Sie sind penetrant, verlangen nach Aufmerksamkeit, hindern uns am Alltag.

 

Bescheiden sind sie nicht, nein. So verlangten sie nach mir.
Ich wehrte mich vorerst, versuchte sie zu umgehen & mit Opfer zu besänftigen, wie es einst die Griechen bei den Göttern taten. Mein Opfer war Besänftigung in Form von Entspannungstechniken, Yoga, Meditation, heiße Bäder, Spaziergänge, „Sex and the City“ schauen & Chips essen-
Dinge, die meiner Selbstfürsorge entsprachen & mich so schon viele Male gerettet hatten.
Doch das half alles nichts. Diesmal hatten sie es wirklich auf mich abgesehen.

 

Scheinbar mit einem einzigen Pfotenschlag fegte das „Gefühlsmonster“ all die Opfer weg, die ich vor mir drapiert hatte, um mich hinter ihnen zu verstecken, ergriff mich & warf mich hinein in seine Geisterbahn, in der ich seither umherirre.

 

Wie es mir entsprach, packte ich all die Waffen aus, die ich mir im Laufe der Zeit angeeignet hatte. Ich war ständig auf der Hut, kämpfte & kämpfte, gleich einem wahnsinnig gewordenen Ninja.
Scheinbar wollten sie länger etwas von mir, so gewährten sie mir zumindest nachts Ruhe.
Aber kaum war der Morgen hereingebrochen, taten sie es ihm gleich & brachen über mich herein. (Das war jetzt gerade gruselig, kaum hatte ich den letzten Satz geschrieben, donnerte es draußen lautstark!!)
Doch ich war klug genug, um mich vor dem Öffnen der Augen schon zu wappnen & vorsichtig nach meiner Waffe zu greifen.
Und auch stolz war ich- bloß keine Schwäche zeigen.

 

Doch Tage des Kampfes in einer Geisterbahn, wo hinter jeder Ecke ein anderes „Gefühls-Monster“ lauert, hinterlassen Spuren.
Heute konnte ich einfach nicht mehr. Mein heroisches Grinsen war mir vergangen.
Mit voller Gewalt brachen all die oben erwähnten Gefühle über mich herein. Oder aus mir heraus?
Wie auch immer- ich ließ es zu & über mich geschehen.

 

Schwer verwundet hievte ich mich aus der Geisterbahn raus in den Regen,
rannte herum (mein Papa würde sagen „wie a wüfligs Schof“), um mich schlussendlich im Schutze eines Waldes wiederzufinden.
Der Regen war gnädig, er verwischte meine Tränen, machte Platz für neue.

 

Worte drängten aus mir heraus, gleich einer Verrückten, die mit den Bäumen sprach…
Aber ich sprach nicht mit den Bäumen. Ich sprach mit Gott selbst.
All die Fragen & Vorwürfe, das Flehen, das er wahrscheinlich schon abermals gehört hat:
„Es tut so weh… Warum erschaffst du eine Welt, in der es soviel Leid gibt? Gefällt dir das?
Wo liegt da der Sinn?! Die Gerechtigkeit!? Was willst du von mir?
Sag es mir endlich deutlich genug, damit ich verstehe. Führe mich. Ich tue alles….“

 [Jetzt, beim Verschriftlichen, fällt mir Hiobs Geschichte in der Bibel ein. Wir durften sie kürzlich als „logotherapeutischen Diskussions-Text“ lesen.
Wieviele Parallelen es da zu mir gibt - & vermutlich zu uns allen!!
Falls euch interessiert, worum es darin geht, hier eine sehr ansehnliche & kurzweilige Zusammenfassung als Video
]

 

Tränenbäche stürzte es aus mir heraus, meinen Oberkörper krümmte ich vor Schmerz.
Wie jämmerlich musste ich ausgesehen haben- mein Weinen war das eines kleinen Kindes, das sich selbst seeehr leid tat.

 

Doch irgendwann waren von mir nur mehr kleine Schluchzer zu vernehmen, bis das Weinen völlig verebbte.
Ich öffnete Augen & Ohren wieder bewusst- sah mich um, lauschte.
Ich lehnte an einer uralten Eiche, um mich herum sattes Grün, Vogelgezwitscher, morastiger Geruch- Frieden!!
Er kam auch aus mir heraus. Die Tränen hatten einem unglaublichen Friedensgefühl Platz gemacht.
Einem Gefühl, das ich schon so lange nicht mehr wahrgenommen hatte.
Und da, an diesem speziellen Tag in diesem Wald nahm ich endlich (wieder) ein angenehmes Gefühl bewusst wahr.
Angenehm ist eigentlich gar kein Ausdruck!

 

Pollhamer Wald
Pollhamer Wald

Einmal mehr wurde mir gezeigt: Wählst du das Leben, dann wählst du die volle Palette.
Es gibt kein Leben mit ausschließlich schönen, angenehmen Gefühlen. Gefühle bedingen einander. Alle. Wie Yin & Yang.
Ohne Traurigkeit, keine Freude. Ohne Angst, kein Mut. Ohne Leid, kein Mitgefühl.
Es ist schlicht & ergreifend ein Irrtum zu glauben, wir könnten uns entscheiden. Oder kontrollieren. Oder- wie ich- Opfer darbringen & damit hinter´s Licht führen.

In Wahrheit sind die eingangs angeführten Gefühle gar nicht die Monster.
Wir sind es, wenn wir uns dessen auch nicht gewahr sind.
Wir verhalten uns im Umgang mit Gefühlen, die wir als unangenehm empfinden, wie einst Priklopil im Fall Kampusch:
Wir wollen sie klein halten und sperren sie ein, damit sie niemand sieht.
Doch Gefühle sind Kinder der Freiheit. Sie werden sich solange still verhalten und so tun, als würden sie kooperieren, sich derweil heimlich formieren, bis wir irgendwann einen kleinen Moment lang unvorsichtig sind, und dann hauen sie uns mit voller Wucht um.  Von diesem Tag an dreht sich der Spieß. Nun dominieren sie uns, aber keineswegs aus Boshaftigkeit oder dem Wunsch nach Vergeltung. Einmal mehr wollen sie nur ihren Dienst an uns tun.
Alle Gefühle haben ihre Funktion, ihren Sinn.
Die Angst zum Beispiel, sie will uns wachrütteln, uns feinsinnig machen, warnen.

 

Ich glaube, das dürfen wir uns immer & immer wieder bewusst machen: dass Gefühle gefühlt werden wollen. Nicht mehr und nicht weniger.
Wie Robert Betz sagt: das Wort Gefühle bedeutet „geh hin“ & „fühle“.
Das nervt manchmal, denn es hält einen auf & ab. Aber fragt man sich dann selbst, wovon,
dann wird einem klar, dass die Antwort „vom Leben“ eine Misinterpretation ist.
Denn eigentlich ist es umgekehrt: Das Fühlen bedeutet ja (ER-)Leben & der Alltag hält ab.

 

Wir alle haben vermutlich diese Erfahrung schon x-mal gemacht: Dass ein Gefühl eh wieder geht, wenn man es einmal zugelassen hat. Und trotzdem schaffen wir es noch nicht ganz, uns freiwillig darauf einzulassen. Es ist mühsam.
Aber soviel sei gesagt: Mit dem Lesen dieses Textes hast du deinem Unterbewusstsein zumindest einmal mehr davon erzählt, wie heilsam das losgelöste Fühlen ist-

 

a´la Beppo Strassenkehrers „Besenstrich für Besenstrich

 

 

PS: Selbst aus dem Donner ist nun Sonnenschein geworden.