Natürlich, aber nicht selbstverständlich

Im Radio wurde heute etwas äußerst Interessantes thematisiert. Es ging darum, dass viele Frauen während der Menopause ein starkes Belastungsgefühl erleben. In der Arbeitswelt wird immer die selbe Leistung erwartet und gefordert, ungeachtet der Person, die diese ausführt oder der Situation, in der diese sich befindet. Doch gerade Frauen sind zyklische Wesen. Ihre Leistungskurve steigt und fällt ganz natürlich im Laufe eines Monatszykluses und die Menopause, also die Wechseljahre, bedeuten einen starken natürlichen Leistungsabfall. Besonders die Schwankung von Östrogen verursacht Veränderungen des Energieniveaus und Frauen fühlen sich durch das hormonelle Ungleichgewicht stark erschöpft. Der Druck abzuliefern und die Scham tun dann noch ihr übriges.

In der Radiosendung fiel ein bemerkenswerter Satz: Viele Frauen glauben, nur weil die Menopause natürlich ist, müssten sie die Situation selbstverständlich und stillschweigend ertragen.

 

Mir wurde aus der Seele gesprochen. Bei einer Schwangerschaft verhält es sich genauso.

Es wird erwartet, dass man die körperlichen und psychischen Begleiterscheinungen, die die starken Hormonveränderungen mit sich bringen, stillschweigend hinnimmt, sozusagen „würdevoll erträgt“. Das ist ja schließlich natürlich und normal, das gehört zu einer Schwangerschaft dazu. Die gesellschaftliche Erwartung ist, dass eine werdende Mutter immer strahlt und sich freut. Eine Beschwerde darf maximal nebenbei erwähnt werden, diese muss aber heroisch und aufopfernd getragen werden – es geht schließlich um den Sinn ihres Lebens: ein Kind.

 

Als es mir letztens wieder einmal wegen der starken, anhaltenden Übelkeit sehr schlecht ging, und ich nach Lösungen dafür im Internet suchen wollte, las ich in einem psychologischen Forum, man solle sich vor Augen halten, dass es sich um keine Krankheit handle. Man habe das Glück, ein Baby zu bekommen und die Beschwerden während der Schwangerschaft seien normal und verständlich, wenn man sich vorstellt, was der Körper durchmacht.

JA EH!?!

Ich hasse den Satz, eine Schwangerschaft ist keine Krankheit!

Ich verstehe den Sinn davon nicht, spüre jedoch, was er mit mir macht: er fördert jene innere Stimme, die mir zuflüstert, ich solle mich schämen, so sensibel zu sein.

 

Ich muss an die Frauen denken, die ich auf der gynäkologischen Abteilung bei uns im Krankenhaus als Krankenschwester betreut habe und die wegen Hyperemesis gravidarum stationär lagen. Es handelt sich dabei um ein unstillbares Erbrechen während der Schwangerschaft, das zu Dehydration, Gewichtsverlust und Ketose führt. Wir konnten nichts anderes tun, als ihnen Vitamin-Infusionen zu verabreichen, damit sie zumindest wieder ein wenig Energie hatten, bis sie das nächste Mal stationär kamen, manche die ganze Schwangerschaft lang.

Wenn ich eine solche Frau in einem stimmigen Moment fragte, wie es ihr gehe, fingen viele zu weinen an. Es war meist ein langes, bitterliches Weinen und damit eine Antwort, die keiner Worte bedurfte. Und auch mein Trost bedurfte keiner Worte, denn es gab keine richtigen. Nicht im Traum wäre mir eingefallen zu sagen, dies sei keine Krankheit, sondern eine Schwangerschaft. Oder dies sei normal.

 

Unser Körper verändert sich ganz natürlich - aber ist das wirklich selbstverständlich?
Unser Körper verändert sich ganz natürlich - aber ist das wirklich selbstverständlich?

 

Nun ist mein Zustand bei weitem nicht so belastend wie der jener Frauen. Und doch wünschte ich mir Raum, um mein Befinden Kund tun zu dürfen, ernst genommen und geachtet zu werden.

Nur weil Beschwerden natürlich und normal sind, sind sie deswegen nicht selbstverständlich. Es ist eine Leistung, die beachtet werden darf.

Und in diesem Moment verneige ich mich vor jeder Frau, die diese Leistung vollbracht hat und vollbringt. Allen voran vor meiner Mutter.

 

„Schweigen ist die größte Gefahr“, meinte einmal Aminata Tour´e im Kampf gegen den Rassismus.

Schweigen ist auch hier das Gift. Solange wir Frauen nicht darüber sprechen, uns nicht gegenseitig unterstützen und ehren, sondern meinen, stillschweigend vor uns hin leiden zu müssen, fühlen wir uns weiterhin einsam und falsch. Machen wir keinen Konkurrenzkampf draus, wer am meisten aushält, sondern nehmen wir unsere Sensibilität ernst und wichtig.

Sie ist, was uns stark macht. Wir dürfen unsere Verletzlichkeit zeigen.

Ich habe mir geschworen, nicht zu schweigen. Diese Texte sind meine Waffe im Kampf um eine authentischere, menschlichere Welt.

 

(Dieser Text stammt aus meinen persönlichen Schwangerschaftsaufzeichnungen aus dem Jahre 2022.)