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Etagenwechsel

Ich denke es ist seit meiner Virusinfektion im November, dass sich kopftechnisch etwas verändert hat bei mir.

Es fällt mir schwerer, mich zu konzentrieren, ich bin unaufmerksamer, vergesse schneller und Kopfschmerz wurde zum Barometer dafür, wenn ich mich stresse.

Allgemein empfinde ich mich als "verkopfter".

 

Für den Stress-Sensor im Kopf bin ich inzwischen sogar dankbar. Er weist mich auf notwendige Pause oder notwendiges Umdenken hin.

Aber, wozu ich vorher schon geneigt war, nämlich mich zu verkopfen und Gedanken zu kreisen, noch extremer zu "haben", das bräuchte ich nicht unbedingt. 

 

Die Logotherapie und Existenzanalyse, an der ich in der vergangenen Zeit studiert habe, instruiert und erklärt fein, dass es Sinn macht, Bedingungen, die unveränderbar sind zu akzeptieren, anstatt uns mit ihrem "Warum?" auszupowern, & unsere Freiheit zu nutzen, um mit ihnen umzugehen.

Dementsprechend versuche ich (natürlich nach erstem Grantigsein, weil "das hab ich auch noch gebraucht.."), der ganzen Kopfgeschichte einen Sinn abzuringen & sie als Trainingsbereich zu betrachten, um wieder mehr ins Spüren zu kommen.

Tausendmal darüber gelesen, aber in der Praxis dann doch gar nicht so leicht.

 

Bedenkt man Viktor Frankls Einteilung der Werte (Schaffenswerte, Erlebniswerte, Einstellungswerte), dann erkennt man die Tendenz unserer Gegenwart, vieles schaffen zu wollen, aber dabei wenig zu erleben/zu spüren.

Wir betreiben Sport, treffen uns mit Freunden und Familie, arbeiten uns hoch, bilden uns weiter, verzichten auf krankmachende Angewohnheiten wie zu viel Alkohol oder Rauchen, richten uns die Wohnung schön ein oder graben einen Pool, fahren einen CUV, tragen die schönsten Kleider, legen in den Einkaufswagen, was uns gerade so einfällt und sind gesund. Samstagabends gönnen wir uns einen Spielfilm - Ja, hier können wir eine Träne vergießen, wenn die Musik passend zu Szene die Dramatik unterstreicht. Aber sonst fällt es uns privilegierten Menschen ziemlich schwer, zu erleben, was wir tun. Aber das ist es eigentlich, was wir anstreben, bei allem was wir tun: der Urlaub soll uns Entspannung bringen, die Arbeit Stolz, der Sport das Gefühl, schön, das knappe Kleid, sexy zu sein.

 

Hartmut Rosa schreibt, dass wir Menschen das Leben oft als Aggressionspunkt betrachten: Der Sport gehört getan, das Auto gewaschen, das Buch gelesen, der Kaffee getrunken, das Konzert besucht. Es gleicht einem Abarbeiten.

Dadurch, dass das meiste in unsere Weltreichweite gerückt ist (so gut wie alles ist für uns verfügbar), haben wir verlernt, in Resonanz zu gehen.

Resonanz zeichnet sich für ihn durch 4 Punkte aus: 

1) Man wird von etwas berührt,

2) man antwortet darauf (z.B. Gänsehaut, ein Schauer läuft über den Rücken),

3) das "etwas" transformiert mich (z.B. Stimmungswandel oder im großen Stil: man wird zu einem anderen Menschen) &

4) diese Resonanz ist unverfügbar: man kann sie weder durch Willenstentschluss verändern, noch instrumentell herstellen.

 

Eine Freundin sagte mir vor kurzem, sie fühle kaum etwas bzw. kaum etwas berühre sie.

Dies hört sich erstmals schlimm an, 

doch ich glaube, es ist gar kein seltener Befund.

Auch mein Verkopftsein führt in diese Richtung. 

Wenn ich einen Arbeitstag in der Mobilen Krankenpflege angehe und einen extrem "verkopften" Tag habe/mich gestresst fühle, 

verabsäume ich ziemlich viele Resonanzbegegnungen mit den Menschen, die ich besuche. Ich will dann zwar auf ihre Sorgen und Probleme eingehen, jedoch schaffe ich es kaum, meinen Kopf beiseite zu legen und mich nur ihnen zu widmen. Stattdessen läuft im Hintergrund ab, was ich noch alles zu erledigen habe, wovon ich gerade abgehalten werde u.s.w.

Diese Art von Begegnung macht mich unzufrieden. Sie raubt mir enorm Energie. Arbeit ohne Resonanz birgt meiner Meinung nach ein hohes Burn-Out-Risiko. Wohingegen mir regelmäßige Resonanzerfahrungen Energie schenken. Sie beleben, bringen Frische. Sie lassen mich mich spüren und als wertvoll erachten.

 

Gestern hab ich mir "Die Croods" angesehen, einen ziemlich netten DreamWorks-Animationsfilm.

Der Film umspielt ein bisschen Platons Höhlengleichnis. Er handelt von einer Steinzeit-Familie, die andere überlebt, weil sie äußerst vorsichtig ist und sich vor Neuem in Acht nimmt. Später entwickelt sie weitere Überlebensstrategien mithilfe ihres Gehirns, was sie von den Urtieren abheben lässt. 

Mir hat der Film einmal mehr gezeigt, woher unsere Ängste und  Vorsicht kommen: Aus einer Zeit, in der Angst über das Fortbestehen unseres Lebens entschied. Unser Gehirn ist physiologisch gesehen noch immer dasselbe. Es ist seine Aufgabe, durch alle möglichen Gedanken auf Gefahren hinzuweisen, um sie umgehen zu können. Wenn es uns verkopft, macht es seine Arbeit gut.

Überwältigende Emotionen wären in dieser Zeit natürlich fatal und lebensbedrohlich gewesen.

 

Die Zeiten haben sich geändert und womöglich entwickelt sich das Gehirn eines Tages physiologisch weiter. Dafür ist noch zu wenig Zeit vergangen. Man bedenke, welche Gefahren Kopflosigkeit noch im letzten Jahrhundert mit sich gebracht hat. Das konnte einem im wahrsten Sinn des Wortes Kopflosigkeit bescheren.

 

Ich glaube, dass es aber heute und hier etwas anderes braucht: Natürlich intelligentes Denken, aber mehr als bisher auch Gewahrsein und Empfinden unserer Gefühle, unserer Tiefe und Höhe, unserer Buntheit. Verbindung nach Innen. Für mich liegt darin auch der Schlüssel in Bezug auf die derzeitige Krise.

Viele der sogenannten "größten Denker" aller Zeiten sagten, ihre genialsten Ideen kamen, wenn der Kopf mal ruhig war. Das nennt man dann Inspiration

 

Ina Regen sagte in einem Interview etwas Interessantes über Selbstbewusstsein. Sie meinte, es ginge dabei nicht darum, felsenfest von sich überzeugt, sondern sich der verschiedenen Stimmen in einem bewusst zu sein: welche auf  unnötigen Ängsten und Negativem beruhen, welche realistisch, welche fördernd sind. Und dann zu entscheiden.

Das ist intelligentes Denken für mich.

 

So. Und wie gelangt man nun vom Oberstübchen ins Fühlen?

 

Ich hab es heute mal mit Tanzen probiert. 2 Lieder von der Kuschelrock-CD 1997/98.

[No Doubt - Don't speak und Toni Braxton - I don't want to]

Hat echt geholfen. Lass ich mir das eine oder andere Mal einreden, aber freut mich auch nicht jeden Tag. Dich?

 

Auf jeden Fall gilt die Devise, die Aufmerksamkeit weg vom Kopf zu lenken.  Hin zum Körper ist ein guter Tipp.

Die Art und Weise darf bunt und verschieden sein. 

 

Atemübungen - immer gut.

Yoga - ja, manchmal.

Malen und Zeichnen - geht auch.

Tagebuchschreiben - Super!

In der Badewanne komplett untertauchen - hilft manchmal als "Reset".

Körper massieren oder abklopfen - geht.

Barfuß spazieren gehen - aufpassen, dass einen das Märzenkalb nicht beißt!

Sex - laut Louise L. Hay besonders geeignet.

Dem Tee imaginär folgen, wie er die eigene Kehle runterläuft und den Magen passiert - klingt schräg, aber funktioniert manchmal.

Ein, zwei Gläser Wein - Kopf adé !

Handflächen an einer Baumrinde fest reiben - jawohl.

Trampolinhüpfen - hab keins, aber stell ich mir super vor.

Ungestellte Fotos anschauen - ahhh...

Ergänzung 25.3.: Auszug einer Leserrückmeldung: 

"A gscheits Musikfest! ...ja, darauf freue ich mich wahrlich!!! Auf a Runde Schnaps, oben auf den Bänken und abgetanzt...einfach nur geil!!! ...alleine die Vorstellung...alleine sich in diesen Moment (zurück)zu versetzen...ich spüre schon Verbundenheit, Leichtigkeit und Freude in mir aufkommen...ich beobachte, dass sich ein Lächeln auf mein Gesicht gezaubert hat... ein Böhmischer Traum! ;)" - wie Recht du nicht hast!!

 

Die Liste reicht ins Unendliche! 

Als Begleiter für den Erfolg eignen sich Bewusstsein & Leichtigkeit statt Druck oder Zwang.

 

 

So, jetzt hab ich mit meinem Kopf darüber sinniert, wie ich weg vom Kopf komme. Gratuliere. 

;-)

 

 

"Das Gefühl kann viel feinfühliger sein als der Verstand scharfsinnig."

Viktor Frankl