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Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Da gab es einst die Zeit, da war man noch Kind und wollte unbedingt erwachsen sein.

Und plötzlich war da die Zeit, da war man erwachsen und sehnte sich zurück, Kind sein zu dürfen. 

War da noch etwas dazwischen?

Gefühlt nicht.

Verrückt.

 

Aber was verstand man als Kind unter "erwachsen", warum wollte man es denn unbedingt schon sein?

Ich glaube, ich ersehnte die Freiheit, die ich vermutete, dann zu haben, die Möglichkeiten, das "Gelten" und "gscheit(er) sein". Ich bewunderte mit großen Augen schon sehr bald die Frauen in Filmen, die für mich eigentlich noch gar nichts waren. 

Ich kann mich noch gut an eine Werbung von damals erinnern: Eine Frau wartete an einem glänzend polierten Tresen auf jemanden, trommelte dabei mit langen, rot lackierten Fingernägel auf dem glatten Holz. Wie selbstbewusst sie wirkte! Und was tat ich? Ich betete fortan jede Nacht inbrünstig zu Gott, meine Fingernägel mögen so lang werden, ich würde "alles" dafür tun. :D

(Ich war Nägelbeißerin, dementsprechend sahen meine Fingernägel aus)

 

Jahre später fand ich mich als Erwachsene wieder, geschafft, das Beißen aufzuhören, jedoch "gezwungen", meine Fingernägel kurz und unlackiert zu lassen (Hygienegebot als Krankenschwester). Welche Ironie!

Ja, und es beschreibt ganz gut, wie man das Erwachsensein dann später vorfindet: die Freiheit fordert ihren unbedachten Tribut - die Verantwortung. Entscheidung um Entscheidung nimmt man Möglichkeiten entgegen und verabschiedet sich von anderen. 

Das Gelten und Gscheit-sein bekommt man auch nicht einfach geschenkt. 

[Zu meinem Trost: Inzwischen weiß ich zumindest, dass lange Fingernägel nicht unbedingt Selbstbewusstsein mit sich bringen^^.]

 

Mein Eifer, erwachsen zu werden, und mein mangelndes Wissen darum, haben mich veranlasst, sehr bald Eigenschaften zu kultivieren, die ich als "reif" erachtete, und jene Facetten, die ich dem Kindsein zusprach, abzuwimmeln, wie früher die Katzen, die einen zu den Füßen liefen, wenn man in unsren Hof ging, und die einen fast zu Sturz brachten.

Ich glaubte, es wäre reif, wenn man ernsthaft, nachdenklich, vernünftig, kritisch und belastbar ist. Erwachsene wissen um die Härte des Lebens!

Lachen, Impulsivität, Verletzlichkeit, Ausgelassenheit, Kopflosigkeit waren die Hofkatzen (um nur wenige von den vielen zu nennen ;)

 

 

Beim Fortgehen fühlte ich mich stets von den gezeichneten, ernsthaften Jungs angezogen, 

meine Ausbildung als Krankenschwester gab mir zusätzlichen Nährboden, um das Leid im Leben aufzusaugen und "reif" zu werden.

 

Und wie es fruchtete! Beim Fortgehen schätzten mich viele mit 20 schon auf 30 und in Praktika vernahm ich, schon sehr reif für mein Alter zu sein (wie stolz ich darauf war!).

Ich genoss die Rolle, kultivierte sie, wo es nur ging: sprach mit meinen Freunden und Geschwistern am liebsten nur mehr über ernste Themen, fühlte mich vom Leid anderer berufen wie eine Motte vom Licht, übte das Kopfzerbrechen und stellte mich ruhig, wo ich innerlich eigentlich völlig überfordert war.

Die Rolle, die sich in der Krankenpflegeschule und später im Job so gut bewährte, sie schwappte plötzlich auf meine anderen Lebensbereiche über. Ja, sie gab mir Sicherheit. Ich glaubte, zu gelten.

Ich hatte meinen Radio auf Empfang bestimmter Dinge gestellt, und spielte die immergleichen Sender ab. 

 

Doch nichts, was übermäßig ist, ist auf Dauer gesund.

Zum Ausgleich ließ mich das Leben als starken Kontrast unvernünftigste Trinkgelage feiern. Hier konnte ich ausgelassen, lustig, locker, leicht sein. Doch hinterher schämte ich mich stets gehörig, was dazu führte, nur noch verbissener an der ernsten Rolle festzuhalten. Ein circulus vitiosus!

 

Natürlich war mir das damals so nicht bewusst.

Das ist es mir erst seit kurzem.

Heute vermisse ich oft die Leichtigkeit, die Spontanität, das Ausgelassen-sein und den Mut, mich verletzlich zu zeigen.

Und mir dämmert immer mehr, wie wenig es mit Reife zutun hat, zu glauben, das Leben wäre hauptsächlich hart und ernst zu nehmen. Es war vielmehr kindisch und einfältig (das zu glauben)!

Mehr denn je sehne ich mich nach diesen so lange vernachlässigten Aspekten des Lebens.

 

Im Mentaltraining wird gerne das Bild eines "Inneren Gartens" verwendet, um Selbststeuerung zu aktivieren und selbstverantwortlich zu werden. 

In unserem Inneren Garten bestimmen wir, welche Pflanzen wir gießen, hegen und pflegen. Wir dürfen das Exotischste darin pflanzen, und neben dem Bodenständigsten verorten. Es widerspricht sich nichts, die Sonne nährt gleichermaßen, solange wir uns um die Pflege kümmern.

Ich denke, ich habe so manche Pflanze verkümmern und austrocknen lassen, in meinem fast zwanghaften Fokus auf die "reifen".

Interessanterweise passt dieses Wort hier genau! Denn das, was ich unter "Reife" verstanden hatte, musste gar nicht wirklich kultivieren, es war soundso genug davon und schon "reif" da. Ein Selbstläufer a'la Unkraut (pardon: Kraut, von dem wir die Wirkung noch nicht genug kennen).

 

Aber die Natur ist zum Glück so unglaublich gütig. So wie in Ägypten fast 3000 Jahre alte Gerstenkörner gefunden wurden, die nach wie vor zum Leben erwachen, so glaube ich auch daran, dass wir die vernachlässigten Pflanzen im Inneren Garten wieder zum Leben erwecken können (bzw. die Hofkatzen wieder herbei"schnun")

Ihre Abwesenheit lässt uns ihres Wertes erst bewusst werden!

 

Aber wie aktiviert man Leichtigkeit wieder, wenn Schwermut an der Tagesordnung steht?

So leicht ist das dann nämlich gar nicht.

 

Unlängst fragte ich das in einer Selbsterfahrungsstunde meine Therapeutin. 

Zuerst glaubte ich, sie hatte mich nicht verstanden, denn statt zu antworten stand sie auf und ging zu ihrem Computer, was ich als Zeichen deutete, die Stunde war vorbei (dort druckte sie normalerweise die Rechnung).

Aber nach kurzer Zeit ertönte eine Musik - verrückt, schrullig, lustig, ein bisschen an einen Zirkus erinnernd.

Sie tanzte mit unmöglichen Bewegungen und todernster Mine auf mich zu & forderte mich nonverbal auf, es ihr gleich zu tun. 

Vorerst peinlich berührt ahmte ich sie unbeholfen nach. ich dachte: "Oh Gott!?"

Aber meine Therapeutin ist nicht nur besonders, sondern auch grenz-genial. Nach kurzer Zeit fühlte ich mich beschwingt, musste lachen, mein Kopf wurde leicht.

Ich verstand, was sie mir damit suggerieren wollte. Durch das Kopfzerbrechen, wie man zu mehr Leichtigkeit kommt, kommt man eben nicht zu Leichtigkeit. Leichtigkeit darf erlebt und gespürt werden. Tanzen ist eine Art, sie zu erleben. Aber auch singen, hüpfen, spielen, witzeln, die eigene ernste Mine im Spiegel nachäffen, baden, der Zustand nach dem Weinen, Sex, sich mit Menschen umgeben, die es sich leicht(er) machen und natürlich auch mal ein Schluck Wein.

Das Gefühl, dass das Leben (auch) leicht und lustig ist, setzt sich zusammen aus lauter kleinen "Leicht und Lustig"-Momenten.

Ein tausendteiliges Puzzle, bei dem man das Motiv immer besser erkennen kann, je mehr Teile man hinzufügt. 

Das Erkennen des Motives wird dein Leben verändern.

Neugierig?

 

Heute ging ich eine Runde auf der "St. Georger Allee", einer wunderschön gelegenen Mostobstallee ganz in meiner Nähe.

Ich war wieder mal in Gedanken versunken, reflektierte meinen Arbeitstag und ob ich alles richtig gemacht habe (blablabla),

da überholte mich eine Dame mittleren Alters mit grauer Pumucklfrisur. Sie ging so beschwingt, wackelte mit ihrem Hintern hin und her, fast tänzerisch, summte und zwischendurch biss sie in einen Apfel, den sie vermutlich zuvor vom Boden aufgehoben hatte.

Sie war der Inbegriff von Leichtigkeit und schien vom Himmel gesandt. 

"Ja, das ist erwachsen sein", dachte ich mir und schmunzelte, "verantwortlich leichtfüßig sein."

Ich hob mir einen Apfel auf und wackelte mit meinem Hintern Richtung nach Hause.

 

 

St. Georgner Allee: Ja, ein Weg kann schwer sein. Aber seinen Rand säumt noch viel mehr.
St. Georgner Allee: Ja, ein Weg kann schwer sein. Aber seinen Rand säumt noch viel mehr.