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Gespräch mit einer Echse

Gestern Nacht stand plötzlich jemand auf meiner Matte. 

Meine "kleine" Schwester. Wir hatten uns nur wenige Zeit davor nach einem gemeinsamen Abendspaziergang verabschiedet.

Sie war, wie ich, seelenruhig in ihr Bett geschlüpft, um nach einem langen, produktiven Tag in zunehmender Entspannung langsam ins ersehnte Träumeland abzutriften.  Doch plötzlich riss es sie hoch und sie saß im Bett. "War das...Ist das..??"

In einem alten Bauernhaus hört man nachts allerlei Geräusche: Klogänge & Heimkehr anderer, Hoftierlaute, Nachtvogelrufe, allerlei Knackser, Rumpler, den Kompressor u.v.m.

Das alles gewöhnt man, wenn man in so einem Haus aufwächst, man hört es kaum mehr. Zumeist beruhigt es sogar. 

Auf jeden Fall nichts, was einen aus Schlaf reißen könnte.

Doch da gibt es ein Geräusch, das man nie gewöhnen kann, so leise & doch so laut: das Knabbern einer Maus!

(Mich fröstelt, wenn ich nur daran denke!)

 

Wie oft hab ich folgendes schon gehört: "Age, ma, de san doch so liab, des is jo neta a Maus".

Ha! Von wegen! 

Aber vielleicht sollte ich das oben erwähnte "man" doch besser differenzieren: Wir, die Murophoben. (Phobie vor Mäusen)

 

Meine Schwester hatte das Knabbern gehört, ihr Puls war stark angestiegen, sie war plötzlich hellwach, drehte das Licht auf & versuchte wie ein Kauz -hochkonzentriert- das Tier zu erspähen. Nichts entging ihr. Im Gegensatz zum Kauz erhoffte sie den Anblick (& damit die Bestätigung) nicht.

Doch ein Kenner weiß, was er gehört hat.

Wenig später der visuelle Beweis.

 

So stand sie im Pyjama vor meiner Tür, fröstelnd & asylsuchend.

Natürlich hatte ich einen Schlafplatz für sie! Für Mäuseflüchtlinge habe ich immer eine offene Tür, merkt euch das. (Ja, das Angebot gilt)

Oh, wie gut kannte ich ihre Lage, die Emotionen, die ihre Augen wiederspiegelten. 

Angst -  pure, unwiderrufliche, körperlich wahrnehmbare, völlig irrationale Angst.

Natürlich wusste man, dass keine Gefahr drohte, doch helfen konnte man sich trotzdem nicht.

 

Woher eine so starke Angst vor Mäusen kam, war mir schleierhaft. Da war kein besonderer Vorfall, zumindest nicht bewusst. 

Das mit der "anerzogenen Angst" durch das Vorleben der Eltern würde auch nicht passen. Weder meine Eltern, noch die meisten meiner Geschwister hatten Angst vor Mäusen.

Vielleicht epigenetisch? Nachdem wissenschaftlich bereits bewiesen ist, dass sich Traumen über Generationen weitervererben können, wäre das womöglich möglich. Ein Maustrauma. ^^

 

Hüte sich, wer über ein Trauma durch Mäuse lacht!

Mäuse waren früher nicht ungefährlich. Einerseits waren sie für die Verschleppung von lebensbedrohlichen Krankheiten verantwortlich, andererseits fraßen sie lebensnotwendige Vorräte auf.

Ja, Mäuse waren einst lebensbedrohlich. 

 

Ich habe auch gehört, dass bei den Lenormand-Karten (Kartenlegen) die Mäuse für Angst, Zweifel & Unruhe stehen.

 

Heuer ist ja ein ziemliches Mäusejahr. Durch den milden Winter wimmelt es nur so von den kleinen Nagern.

Interessant finde ich, dass zeitgleich auch Angst heuer ein großes Thema ist. Corona bzw. die mediale Berichterstattung verursachen seit Frühling nicht nur Existenzängste, auch Todesängste. Die Ungewissheit und die scheinbare Endlosigkeit bestärken zusätzlich.

Zufall?

Vielleicht.

 

 

Angst, liebe Angst. Was ist das mit dir?

 

Wir wollen sie nicht. Natürlich nicht, sie ist das bedrängendste der Grundgefühle.

Angst macht eng (lat. angustia - Enge, Beengung, Bedrängnis), nimmt uns Luft & beschlagnahmt uns. 

Gerald Hüther, der bekannte Hirnforscher, meinte in einem Interview, das menschliche System strebe wie jedes System nach Ordnung, da Angst Unordnung schafft und darauf basiert, wäre es eine natürliche Reaktion des menschlichen Organismus, Angst so schnell wie möglich aus dem System schaffen zu wollen.

 

Im letzten Semester lernte ich, Angst per se ist sinnvoll. Sie ist Beschützer, macht vorsichtig & konzentriert, lehrt und weist hin.

Ohne Angst gäbe es uns nicht mehr. Sie hat schon dem ersten Menschen das Leben gerettet.

 

In Wahrheit gibt es kein Leben ohne Angst. Es ist eines der Grundgefühle & somit Basis von Lebendigkeit.

 

In der spirituellen Szene ist es modern, Angst als das Gegenteil von Liebe anzusehen. Man solle sich stets fragen, ob gerade "Angst" oder "Liebe" aus einem spricht. Entscheidungen sollen aus Liebe getroffen werden.

Das ist an und für sich kein schlechter Ansatz, da wir Menschen sehr oft "übermäßig" von Angst belagert sind, was uns behindert. 

Mich stört nur daran, dass Angst dadurch in eine Ecke gedrängt wird, die sie einerseits zum Feind macht & andererseits noch mächtiger.

Denn wann immer wir uns gegen Angst wehren, wird sie größer.

Die bedeutendste & mächtigste Angst ist unsere Angst vor der Angst.

 

Obwohl wir sie alle verspüren, wird über sie nicht gesprochen. (So weit reicht diese Angst)

Kommende Woche trete ich eine neue Arbeitsstelle an. Sehr oft wurde ich gefragt: "Und, freust du dich schon?" 

Ja, ich freute mich, aber da war natürlich auch etwas Angst. Eine neue Stelle mit neuen Herausforderungen, neuen Leuten, noch viel Ungewissheit. Aber wann immer ich Angst ansprach, wurde damit reagiert, mir die Angst auszureden: "Age, du schoffst des schau. Vor wos host denn do Angst?"

Natürlich war es gut gemeint, aber es suggerierte, dass ich keine Angst haben sollte, dass sie abnormal war. 

Hätte ich mich im letzten Logotherapie-Semester nicht soviel mit Angst beschäftigen dürfen, hätte das wahrscheinlich meine "Angst vor der Angst" geschürt -die sogenannte Erwartungsangst.

Die Erwartungsangst ist deshalb so mächtig, weil sie eine ganz spezielle Dynamik hat. Sie schaukelt sich immer höher & lässt uns das tun, wovon sich Angst vollsaugt wie ein Schwamm: vermeiden.

Je mehr wir Situationen vermeiden, vor denen wir Angst haben, umso stärker wird sie.

 

Dan Katz, ein schwedischer Psychologe, der sehr stark mit Metaphern arbeitet, vergleicht Angst mit einer Echse. Deshalb, weil Angst auf den primitivsten Teil unseres Hirns zurückgeht, dem "Reptilienhirn",  dessen Struktur im Grunde die Gleiche wie bei einfachen Tieren wie Echsen ist. Sind wir ängstlich, wird jener Teil des Reptilienhirns aktiviert, den wir Amygdala nennen. Haben wir Panik, kann dieser Teil unser Verhalten komplett steuern. Manchmal liegt die Amygdala richtig, in anderen Momenten löst sie aber einfach falschen Alarm aus (für das Überleben unserer Spezies war es sicherer, lieber einmal zu viel als zu wenig Angst zu haben). 

Erleben wir Angst in Situationen, von denen wir wissen, dass wir eigentlich mit ihnen umgehen können müssten, versuchen wir uns meist mit Vernunft zu kommen. Das funktioniert allerdings selten, denn diese primitive Hirnregion springt auf Logik nicht an. Die Echse checkt es nicht.

Das Einzige, was lt. Katz funktioniert, ist, dass die Echse die Situation im wahren Leben erleben kann und spürt, dass ihr Geschrei unverhältnismäßig ist. 

Statt uns Ängste auszureden, sollten wir die entsprechende Situation durchleben, um uns davon zu überzeugen, dass sie doch nicht so gefährlich waren, wie wir dachten.

Also das Gegenteil von Vermeiden: trotzdem tun.

 

 

Unser edler Beschützer
Unser edler Beschützer

Ein starkes Beispiel dafür gab Viktor Frankl ab. 

Er überwand seine Höhenangst, indem er seine sogenannte "Trotzmacht des Geistes" aktivierte, sich "von sich selbst nicht soviel gefallen ließ" & sich trotzdem (wahrscheinlich Schritt für Schritt) in Höhen begab. Das Gewinnen eines Stücks Freiheit!

Inzwischen sind 3 schwierige Klettersteige nach ihm benannt.

 

Die Lieblingszeit von Angst scheint mir Fasching zu sein.

Denn sie verkleidet sich nur zu gerne & genießt es, vorerst nicht erkannt zu werden.

So trickst sie gerne in Kostümen wie dem Perfektionismus, der Eifersucht, der Kontrolle, der Scham u.v.m. auf.

Aber Angst möchte gar nicht lange täuschen. Insgeheim hofft sie darauf, dass wir ihr auf die Schliche kommen & sie stolz ansagen: "Hinter all dem steckt die eine, die wunderbare, die einzigartige Angst".

 

Ich glaube, Angst an sich ist gar nicht das Übel. Sie ist nicht das Gegenteil von Liebe.

Sie ist Teil der Liebe, eine Form von ihr.

Das Übel ist unsere Einstellung ihr gegenüber; wie wir sie sehen.

Vielleicht darf die Angst wie ein kleines Kind betrachtet werden, das wachsen will. Es möchte uns als verantwortungsbewussten Vormund, der sein "Grenzen-Testen" aushält & ihm die Grenzen klar aufzeigt. Es möchte, dass ihm die Welt gezeigt wird & es sich dabei nicht fürchten muss.

Es möchte "im Alter" immer ruhiger werden & am Rücksitz unseres Lebensautos Platz nehmen.

Möchte gar nicht mehr in's Lenkrad greifen oder die Handbremse ziehen, sondern sich in unserer Nähe angenommen wissen.

 

Es bekommt dann Aufmerksamkeit, wenn es wirklich etwas zu sagen hat.

(In der Logotherapie würde man das "Einstellungsmodulation" nennen)

 

 

Das hört sich jetzt alles sehr romantisch an.

Natürlich steht es uns völlig frei, wie wir die Angst betrachten und uns ihr gegenüber verhalten. 

In Bezug auf die bevorstehende Arbeit versuche ich mich an der romantischen Version,

bezüglich Mäuse wähle ich vorerst noch die Vermeidungsstrategie.^^

 

 

 

 

 

Heuer ist ja ein ziemliches Mäusejahr.

Genial wie die Natur ist, legten Greifvögel heuer statt 3 fünf Eier.

Wo mehr Schatten, da mehr Licht.

 Wo mehr Angst, da mehr Vertrauen.

 


Sarah Leschs Ansatz ;-)