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Das wichtigste Bildnis

Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten.

Gerade was Kunst anbelangt, so scheiden sich die Geister. Gefällt dir ein Monet oder ein Picasso?

 

Über ein Bild darf ich in der letzten Zeit besonders nachdenken: das Selbstbild.

Es ist das wichtigste Werk, denn es ist überall. Durch dieses Bild sehen wir nicht nur uns selbst, sondern auch, wie wir behandelt werden. Wir glauben dadurch zu sehen, wie uns die Welt sieht.

Dieses Bild ist sozusagen eine Brille, die wir uns aufsetzen.

 

 

 

Niemand von uns hat kein Selbstbild. Es ist uns sozusagen in die Wiege gelegt.

Aber fast alle haben wir ein unbewusst gestaltetes Selbstbild.

Es ist das künstlerische Ergebnis unserer Prägungen wie unserer Kindheit, unserer Ahnen, unserer Erlebnisse, unserer Reflexionsfähigkeit & vielem mehr.

Betrachten wir uns, betrachten wir nicht unser Selbst, sondern unser Selbstbild, und das macht es so wichtig.

 

Zu meinem Geburtstag vor kurzem bekam ich von einer guten Freundin eine (virtuelle) Glückwunschkarte, auf der folgender Satz stand: 

"Wenn ich dir etwas geben könnte, dann würde ich dir die Fähigkeit geben, dich selber so zu sehen, wie andere dich sehen - damit du erkennen kannst, was für ein besonderer Mensch du bist."

Dieser Satz berührte mich sehr & schwingt auch seither in mir nach.

Im ersten Moment freute ich mich einfach über die Botschaft, die durchklingen ließ, dass ich für meine Freundin etwas Besonderes war.

Später wurde ich neugierig & fragte mich, wie andere mich wohl sehen würden.

Und noch später stimmte es mich auch nachdenklich und etwas traurig, denn es war wahr: Trotz intensiver Arbeit an meinem Selbstwert-Thema, war mein Fokus hauptsächlich bei meinen Fehlern, anstatt meiner Qualitäten.

Es fiel mir schwer, Komplimente wahrhaft anzunehmen, zu glauben.

Der Erfolg anderer versetzte mir oft einen Stich, als wäre um mich ein imaginärer Ver-Fechter (im wahrsten Sinne des Wortes) der Ungenügsamkeit, der mich mit seinem Degen erinnerte, genau darauf zu achten, wie gut andere waren. Die Erfolge anderer wiegten gefühlt stets mehr als meine.

Ansprüche an mich, so hoch wie der Burj Khalifa in Dubai.

 

Ich möchte mich an dieser Stelle nicht verurteilen (mich kritisieren, dass ich mich kritisiere^^).

Denn nicht zuletzt, wenn ich meine Mitmenschen beobachte, merke ich, dass dieses Phänomen fast "normal" ist.

Ich kenne kaum jemanden, der sich selbst genau so mag, wie er ist, der sich absolut genügt und sich feiert.

Wie oft ich schon mit Erstaunen feststellen durfte, wie weit das Selbstbild & das Fremdbild auseinander gehen, selbst bei Menschen, die nach außen hin sehr selbstbewusst wirken. (selbst, selbst, selbst,,)

In unserer Gesellschaft ist es, so glaube ich, wesentlich einfacher, ein ungünstiges Selbstbild zu kreieren, als ein günstiges. Die Messlatte ist höher denn je, der Spannungsbereich zwischen "Sein" & "Sollen" auf tausend Volt.

Das Bild anderer, das uns durch Medien suggeriert wird, ist völlig verzerrt. Scheinbar schaffen es alle anderen, immer gut auszusehen, sozial, fit, erfolgreich und glücklich zu sein. Scheinbar.

Auch wenn uns z.T. schon klar ist, dass dies nur Show ist, die Bilder erschaffen trotzdem unbewusst Druck.

 

Aber auch wenn es einfacher ist, ein ungünstiges Selbstbild zu erschaffen, so ist es keineswegs unmöglich, es umzugestalten.

Viktor Frankl meinte einst: Die Welt ist nicht heil, aber sie ist heilbar.

 

An seinem Selbstbild zu feilen bedeutet, den Scheinwerfer auf das ganze Selbst zu werfen & sich im Lichte sehen zu können.

Heil zu werden (engl. "whole"= ganz werden).

Eine Welt beginnt an der einzelnen Person, heil zu werden. 

Und eine heile Welt bedeutet eine friedvolle Welt.

 

Es ist Zeit, sich bewusst zu machen, dass nicht ich mir nicht gefalle, sondern das Bild, das ich von mir habe.

Nicht ich habe mich zu verändern, sondern ich darf das Bild weiterentwickeln.

Es ist gut, was war. Auch das bisherige Selbstbild prägte mich. Aber sobald mir bewusst wird, dass es nicht stimmt, dass die Saiten meines Blickes falsch klingen, liegt es in meiner Verantwortung, die Saiten zu stimmen. Meine Brille zu putzen.

 

 

Was als erstes abgeputzt gehört, sind die Bewertungen.

Dann die Ansprüche & Erwartungen.

Die Vergleiche.

Und dann die Spießigkeit.

 

Die Brille darf viel rosaroter werden,

so wie das Selbstbild viel wärmere Farben verträgt. 

Vielleicht kann man darauf jetzt schon erkennen, dass man immer sein Bestes gegeben hat & gar nicht mal so übel ist. 

Womöglich sogar recht cool. Einzigartig. Schlau. Witzig. Lieb. Eine Prise verrückt. 

 

Mag einem das gerade nicht gelingen, kann man sich auch Helfer herbeiholen.

Man stelle sich vor, man wäre jemand anderes & würde sich ihre Brille aufsetzen, um uns anzusehen.

Das, was mir meine liebe Freundin zum Geburtstag gewünscht hat (die Fähigkeit, sich selbst zu sehen, wie andere einen sehen), kann man sich selbst schenken, indem man es übt.

Was ist das Bild, das sie von mir hat, eine Schwester oder ein Kollege?

Wie sieht mich meine Oma? Wie Gott?

Und langsam geht etwas ihrer Brille auf die eigene über.

Meine Saiten schwingen sich auf ihre ein.

 

Ein Kunstwerk zu erschaffen, ist kaum etwas auf ein paar Stunden.

Manchmal bedarf es da noch einen Strich & mal dort noch eine Kontur. Es darf sich entwickeln, immer schöner werden.

Es gibt auch keine Vorlage. Das Selbst-Bildnis, es muss selbst gemalt werden.

Darum, sei nachsichtig und mitfühlend mit dir. Mit deiner guten Absicht bist du am besten Weg.

Und vielleicht fällt dir dabei ja auf, wie lustig es ist, zu malen....  ;)

 

 

 

Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten.

Wie gefällt dir dein Selbst-Bild? Ich finde, es könnte noch schöner sein. ;-)

 


So mancher...
So mancher...
...hat ein falsches Bild von sich
...hat ein falsches Bild von sich

"I have come a long way in how I see myself, but I think I still have some way to go."