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Kleine Rebellion gegen das Alles-in-einen-Topf-schmeißen

Wie definierst du „Selbstvertrauen“?

 

Bevor du weiterliest, bitte beantworte dir diese Frage.

 

Meistens wird dieses Wort dafür verwendet, um jemanden zu beschreiben, der sich traut, selbstsicher im Mittelpunkt zu stehen, scheinbar ohne Selbstzweifel, ob auf der Bühne oder in einer Teamsitzung- „Boah, der/die hat ein gutes Selbstvertrauen!“.
Selten für einen selbst.
Manchmal wird es bewundernd ausgesprochen, nicht selten aber auch mit einem gewissen Unterton. Einem leicht vorwurfsvollen Unterton.
Als konkretes Beispiel: Du sitzt mit deiner Freundin in einem Cafe, ihr quatscht und beobachtet nebenbei die Passanten. Plötzlich klebt euer beider Blick an einer Frau, die vorbeischlendert. Diese trägt ein sehr figurbetontes, auffälliges Minikleid, und das, obwohl ihr Hintern überaus üppig erscheint, weit entfernt von der derzeitigen Mode.
Deine Freundin flüstert dir belächelnd zu: „Na de hod oba a gscheids Söbstvertraun“.
Diese bewertende Aussage verfehlt aber bei dir ihre Wirkung. Die Freundin wollte der Passantin einen Mangel zuschieben, um dabei einen eigenen zu kaschieren- z.B. ihr Unvermögen, auf sich aufmerksam zu machen oder ihre Angst, sich zu zeigen.
Da du kürzlich über „Selbstwertmangel“ gelesen hast, fällt dir dies gleich auf und du schaust die Freundin mitleidig an.
Aber da du auch reflektiert bist, musst du dir wenig später eingestehen, dass auch dir bereits ein solcher Kommentar auf der Zunge gelegen ist.

 

Warum?
Dieses Selbstvertrauen, wie ich es eingangs definiert habe, schüchtert uns ein. Wir fühlen uns bedroht oder entblößt, & verwenden eine der "3 Urmechanismen bei Gefahr", die die Evolution uns gelehrt hat: wir wehren uns, „schießen“ zurück.
Das Gefühl der Bedrohung entspringt einem Konkurrenzverhalten, das leider gerade unter uns Frauen sehr stark ausgeprägt ist. 
Aber zum Glück haben sich die Zeiten geändert, & es ist nicht mehr möglich, andere Frauen deswegen auf dem Scheiterhaufen verbrennen zu lassen, wie es im 14.- 17. Jahrhundert an der Tagesordnung stand.
Mehr als je zuvor, bietet unsere Zeitqualität es uns an, vom Konkurrenzdenken Abstand zu nehmen und uns uns selbst zuzuwenden - unseren Selbstwert auszubilden. DEM Mittel gegen Konkurrenzdenken.

 

Apropos „Selbstwert“.
Für mich ist die eingangs formulierte Definition von Selbstvertrauen nicht ganz stimmig.
Ich glaube, um dem wahren Charakter von Selbstvertrauen auf die Spur zu kommen, bedarf es einer bewussten Differenzierung mehrerer verwandter Wörter, die wir so gern alle in einen Topf schmeißen.
(Vielleicht wurde ich ein Fan von genauen Wortdifferenzierungen, weil ich ganz oft mit dem Namen meiner Schwester angesprochen wurde… eine Art Rebellion gegen das „Alles-in-einen-Topf-schmeißen“)

 

Selbstbewusstsein, Selbstsicherheit, Selbstvertrauen, Selbstwertgefühl, Selbstliebe
Nein, nicht ein und dasselbe.
Ja, sie beziehen sich alle auf das „Selbst“, nicht auf andere (auch wenn die Wirkung beim anderen spürbar ist).
Und das Selbst ist mehr als das „Ich“. Während das Ich viel mit meinen Dimensionen Körper & Psyche zutun hat (also Aussehen, Gefühle, Reaktionen, Verstand, Gedanken, Muster, Wille, Ego),
entspricht das Selbst unserer dritten Dimension: unserer Geistigen Person, wie es in der Logotherapie so schön heißt. Gern auch als unsere Seele, unser innerstes Wesen, unser wahres Sein bezeichnet. Es ist etwas unveränderlich & zutiefst Heiliges. Der Funke, den wir aus der Unendlichkeit mitgenommen haben.

 

Beginnen wir mit dem Begriff Selbstbewusstsein.
Selbst-bewusst zu sein, bedeutet, sich seiner Selbst bewusst zu sein. Ich bin mir dessen bewusst, dass ich mehr als „Ich“ bin.
Körper und eine Psyche habe ich, „Geist“ bin ich.
Minderwertigkeitsgefühle sind dadurch überflüssig.

 

Selbstsicherheit:
Ich bin mir meiner Selbst so sicher, dass diese Sicherheit bis ins „Ich“ durchdringt.
Ich bewege mich in der Welt in Form meines Körpers und meiner Psyche, & strahle dabei völlige Sicherheit aus.

 

Selbstwertgefühl:
Ich habe ein Gefühl für den Wert meines Selbst.
Ich bin unumstößlich wertvoll, ungeachtet meines psychischen und körperlichen Ausdrucks in dieser Welt- egal was ich tue, ob ich scheitere, Fehler begehe oder irre.

 

Selbstliebe:
Die höchste Qualität meines Selbst ist auf mich übergegangen: die Liebe.
Ich liebe mich, nicht nur mein Selbst, auch das „Ich“ in all seinen Facetten.

 

Und dann wäre da noch der letzte (& eigentlich erste) Begriff: Selbstvertrauen:
Ich vertraue meinem Selbst, dass es sich für mein „Ich“ zuständig fühlt & durch es wirkt.

 

Ich widme diesen Artikel dem Selbstvertrauen, weil sich meine Lebensqualität erheblich gesteigert hat, seit ich mir „Selbstvertrauen“ neu definiert habe.
Für mich hieß Selbstvertrauen vorher, dass ich meinen Stärken vertrauen, und sie gezielt einsetzen kann.
Dabei waren Stärken für mich sehr leistungsorientierte Begriffe, wie Durchhaltevermögen, Schnelligkeit, Disziplin, mentale Beherrschung, eine schnelle Auffassungsgabe und ein gutes Gedächtnis.
Konnte ich diese Stärken situativ (einmal) nicht anwenden, schwand mein Selbstvertrauen scheinbar.
„Punkteten“ andere in diesen Situationen, hatten diese für mich automatisch Selbstvertrauen - und ich nicht. (Besonders bewunderte, manchmal gar beneidete, ich da Menschen, die beim Sprechen vor mehreren Leuten nicht rot wurden, stotterten und den Faden verloren…)

 

Es war beim Laufen im Wald.
Ich sinnierte wieder einmal vor mich hin, im Speziellen eben über Selbstvertrauen.
Wegen irgendeines Auslösers glaubte ich einmal mehr, kein Selbstvertrauen zu besitzen.
Ich lief & lief vor mich hin, und eine Stimme in mir fing an, mich zu bestärken:
„Aber sieh nur, deinem Körper vertraust du blind. Von einem Tag auf den anderen beginnst du zu laufen, besteigst Berge ohne vorher zu trainieren, mutest ihm laaanges Sonnentanken zu. Bei körperlichen Dingen hast du Selbstvertrauen!“
Ich freute mich & lief munter weiter.
Bis ich, viel früher als sonst, plötzlich nicht mehr konnte.
Ich wollte es nicht wahrhaben, wollte das soeben wahrgenommene Selbstvertrauen nicht gleich wieder hergeben.
Eine kurze Zeit quälte ich mich noch weiter, um dann aber abzubrechen.
Ich kauerte mich atemlos auf einen Baumstumpf & schüttelte enttäuscht den Kopf.
Da aber meldete sich eine viel zartere, weisere innere Stimme: „Sieh nur, wie viel Selbstvertrauen du dir zugestehen darfst! Du hast für dich gesorgt, als du Fürsorge brauchtest: hast das Laufen eingestellt, um zu rasten, als du nicht mehr konntest. Selbst-vertrauen heißt, dem Selbst vertrauen zu dürfen, dass es auf dich aufpasst, dich nicht überfordert, dir liebevoll begegnet.“

 

Was für ein Perspektivenwechsel! Ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein großer für mich!
Selbstvertrauen bedeutet durchaus das Vertrauen auf die eigenen Stärken und das gezielte Einsetzen-können dieser.
Aber eben nicht auf die Stärken meiner Psyche und des Körpers, sondern auf die Stärken, die aus dem Selbst kommen: Wohlwollen, Fürsorge, Schutz, Gelassenheit, Liebe, Kreativität, Intuition.

 

Eigebettet in dieses Selbstvertrauen, traue ich mich, in die Welt hinauszugehen & die Stärken meiner Psyche und des Körpers zu erfahren, zu entwickeln.
Denn am Selbst brauche ich nicht zu zweifeln…