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Urvertrauen

Die Luftpumpe steht immer neben dem Fahrrad, sie küssen sich regelmäßig
Die Luftpumpe steht immer neben dem Fahrrad, sie küssen sich regelmäßig

Das Ventil meines Fahrradschlauches dürfte etwas haben. Zumindest geht die Luft meines Vorderreifens ständig aus, weshalb ich vor jedem Mal Radfahren meinen Reifen neu aufpumpen muss. Ich hab schon gehört: „Dass dir das nicht zu blöd ist. Lass dir halt einen neuen Reifen montieren.“
Aber da bin ich wie ein alter Mann, und denke mir, der Reifen ist ja noch gut, zahlt sich noch gar nichts aus. Die Luft geht schön langsam, ca. über den Zeitraum von 2 Tagen, aus, d.h. dass ich noch fesch alle Radtouren damit machen kann.

 

Das, was mich dann insgeheim schon ärgert, ist, dass ich den Stöpsel des Ventils beim Aufpumpen ständig verliere. Da schimpfe ich dann (wiederum wie ein alter Mann): „Agee…wieso miassn´s denn den Steppö durchsichtig mocha!? Koan Hausverstand!“ (Ich wär für neonfarbene Stöpsel!)
Inzwischen schieb ich mir den Stöpsel dann meist in meine Jackentasche, während ich den Reifen aufpumpe.
So auch heute. Und was war? Rausgefallen ist er mir!
Beim grantigen Suchen dachte ich mir: „Jetzt hilft auch noch die Schwerkraft mit!“

 

Automatisch folgte ein Satz, den ich im Zuge meiner Krankenhaustätigkeit viele Male benützte:
„Auf die Schwerkraft ist wenigstens Verlass.“
Wann immer einem Patienten etwas hinunterfiel & er sich dafür schämte oder darüber ärgerte, verwendete ich diese Aussage. So gut wie jeden beruhigte diese. Es war phänomenal.
Nicht zuletzt deswegen wurde dieser Satz zu einem meiner absoluten „Burner“.
Irgendwann, von seiner Wirkung zutiefst überzeugt, war auch meine Ausführung fast perfektioniert: Wie eine Weise strich ich ihn in sanftestem Ton wie Balsam über die Situation.

 

Ich habe oft überlegt, warum scheinbar alle Menschen etwas mit dieser Formulierung anfangen konnten.
Ja, einerseits war es der Humor, der die Situation entschärfte. Aber ich glaube, eigentlich war es das Wort „Verlass“.
 Jeder wusste insgeheim, was Verlass bedeutet. Verlass war der Balsam. Mit ihm schwang das Gefühl von Halt, Geborgenheit & Sicherheit mit. Also Urvertrauen.
Schöner denn je finde ich den Gedanken, dass jeder dieser Patienten eine Ahnung von Urvertrauen hatte.

 

Kürzlich machte ich eine Laufanalyse, um mir entsprechende Schuhe zu kaufen.
(Das wirkt jetzt so selbstverständlich, & als wär ich extrem sportlich. Derweil versuche ich mich eh erst seit ein paar Wochen darin, und laufe immer dieselbe ebene Strecke. Zumindest das weiß ich noch von Physik: Den Weg des geringsten Widerstands wählen..)

 

Schild im Fitnesswald. Vielleicht versteht ihr jetzt, warum ich (dort) zum Laufen begonnen habe. ;-)
Schild im Fitnesswald. Vielleicht versteht ihr jetzt, warum ich (dort) zum Laufen begonnen habe. ;-)

Bei dieser Laufanalyse musste ich auf einem Laufband laufen und der „Analytiker“ alias Verkäufer beobachtete meinen Laufstil. Vorher stotterte ich noch daher, dass ich erst seit kurzem laufe und vielleicht noch gar keinen gscheiten Stil habe…
Nach ca. 5 Minuten erklärte er mir, dass ich nicht zu den leichtfüßigen oder beinhebenden Läufern gehöre, sondern zu denen, die ihre Füße fest & schwer auf den Untergrund drücken.
Natürlich kam ich mir da etwas plump vor. Als würde ich nicht laufen, sondern stampfen.

 

Aber heute, als ich im Fitnesswald so vor mich herlief, gefiel mir mein Laufschritt plötzlich.
Ich musste nämlich an Dieter denken. Dieter ist Energy-Dance-Trainer, bei dem ich einmal einen Kurs belegte. Zum Schluss einer Energy-Dance-Stunde war immer ein 15-minütiger Entspannungsteil. Dabei durften wir uns auf eine Matte legen, & er bespielte den Raum mit Klangschalen.
Dieter sagte immer diesen einen Satz, wenn wir uns hingelegt hatten: „Ihr dürft euer ganzes Gewicht der Erde überlassen, sie trägt euch gerne.“ Erst anhand dieses Satzes fiel einem dann immer wieder auf, dass man sich sogar beim Liegen verspannte, um das eigene Gewicht nicht abzugeben. Der Unterschied war verblüffend! Wie unheimlich wohl es sich anfühlte, wenn man sich schwer machen durfte. Es war derselbe Balsam, von dem eingangs die Rede war – einer, der Urvertrauen spüren ließ.

 

Ich lief & drückte meine Füße fest in den Boden. Dankbarkeit machte sich in mir breit.
Ach, wie stärkend Urvertrauen sich anfühlt! Könnte dieses Gefühl nicht ewig währen?

 

Weiter des Weges schraken mich Hühner aus meinen Gedanken, die am Waldboden nach Essbarem scherten. Es war eine Gruppe von Hühnern, die hier oft herumflatterten (eine davon eine Sulmtaler Henne- deren kesser Schopf mich immer an das Toupet einer ehemaligen Patientin erinnert).
 Sie „gehörten“ zu einem Haus nicht weit vom Waldrand entfernt.

 

Während ich über ihr plötzliches Erscheinen erschrak, schien ihnen mein plötzliches Auftauchen (& ich lief!) nichts auszumachen. Sie scherten entspannt weiter, gerade, dass sie mit ihren ruckartigen Bewegungen ihren Kopf herumdrehten, um gechillt nachzuschauen, was ich da tat.
Woher kam ihre Tiefenentspannung?
Andere Hühner flatterten auch davon, wenn man auf sie zukam.

 

Einerseits konnte es der Wald sein, der sie so beruhigte.
Andererseits waren sie es wahrscheinlich gewohnt, dass Menschen an ihnen vorbeiliefen. Sie waren hier oft.
Sie vertrauten darauf, dass ihnen nichts passierte. Hühner mit gutem Urvertrauen!

 

Aus ihnen zog ich meinen Schluss, dass Urvertrauen durch wiederholte positive Erfahrungen entsteht. Wenn vertrauensvolle Situationen Gewohnheit werden.

Wir alle haben diese Erfahrungen, doch sind sie uns nicht immer bewusst. Und so ist uns auch das Urvertrauen nicht bewusst, das tief in uns drinnen angelegt ist & ent-wickelt werden möchte (also ausgepackt, ausgewickelt wie ein Geschenk).
Bewusstsein wäre aber der Schlüssel.
Bewusstes Empfinden von Halt, Geborgenheit, Sicherheit, Wohlgesonnenheit, Verlass.
Sowohl im Moment, als auch herbeigeführt.

 

Im Moment z.B.,
-wenn ich einen Anruf meiner Mutter bekomme, die mich fragt, wie es mir geht;
-wenn ich in der Badewanne liege & das warme Nass mich umgarnt;
-wenn ich morgens aus dem Fenster schaue, & entdecke, dass mir wieder ein sonniger Tag geschenkt wurde;
-wenn ich mich abends in´s Bett lege und schwer machen darf (das darf ich auch am Klo ;-);
Die Liste kann ewig & so individuell wie der Mensch selbst weitergeführt werden.

 

Herbeiführen könnte ich dieses Empfinden durch das bewusste Erinnern an Situationen, die solche Gefühle ausgelöst haben,
oder aber auch durch die Vorstellung von Situationen, die noch gar nicht eingetroffen sind.
Auch durch Übungen, Meditationen, Imaginationen oder Traumreisen.

 

Es geht vielmehr um das Bewusstwerden, als um die Art „wie“.

 

Die Natur gibt viel Potential her, mir dieser Empfindungen bewusst zu werden.
Sie ist DER Beweis schlechthin von Urvertrauen. Jede Nacht vertraut sie, dass es wieder Tag werden, & jede Jahreszeit, dass die passende folgen wird.
Alles in der Natur ist Symbol für Urvertrauen: ob Boden, Wald oder Fluss.
Allein der Spaziergang im Wald frequentiert uns mit Erlebnissen des Urvertrauens.
Das Angebot ist grenzenlos. Es bietet sich uns an wie ein Buffet, ein „All-you-can-feel-Buffet“!
Bedienen wir uns ruhig, unser „Erlebnis-Magen“ knurrt ohnehin schon genug…

 

 

 

„Alles wird gut“, posaunt das Positive Denken. „Alles ist gut“, flüstert das Urvertrauen.

 


Das Toupetmodel. Die Surmtaler Henne gefällt auch dem Hahn am besten.
Das Toupetmodel. Die Surmtaler Henne gefällt auch dem Hahn am besten.
Meine Eltern erkannten den Zusammenhang von "Laufen" & "Urvertrauen" wohl auch, so (ur)vertrauten sie darauf, dass sie eine Aufgabe abgeben, & weniger oft in den Keller mussten, um Most zu holen, wenn sie mich I-ren-e tauften....
Meine Eltern erkannten den Zusammenhang von "Laufen" & "Urvertrauen" wohl auch, so (ur)vertrauten sie darauf, dass sie eine Aufgabe abgeben, & weniger oft in den Keller mussten, um Most zu holen, wenn sie mich I-ren-e tauften....