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Die andere Seite der Medaille

Gestern las ich einen Artikel zum Thema „Resignation“ von Dr. Wolfram Kurz, den er zum 100. Geburtstag von Viktor Frankl, also vor 15 Jahren, geschrieben hat.
Hört sich öde an, ich weiß.

 

Aber das war er nicht, vielmehr lässt er mich seither nicht mehr los. Es verblüfft mich immer wieder: So gut wie jeder logotherapeutische Text, den ich lese, scheint immer genau auf die aktuelle Situation zuzutreffen, und das auch, wenn er bereits vor länger als einem halben Jahrhundert erschienen ist – also in einer Zeit, die so gar nicht mehr mit unserer heutigen vergleichbar scheint.

 

So erinnerte mich der Text von gestern natürlich – wie könnte es anders sein – an die derzeitige Corona-Situation. Ich möchte hier gerne eine kleine Zusammenfassung davon wiedergeben:

 

Der moderne Mensch verliert zunehmend die Fähigkeit, sein Leben und Leben überhaupt unter dem Aspekt des Glückens wahrzunehmen. Er lebt im Vergleich zur Dritten oder Vierten Welt in „paradiesischen“ Zuständen, zuerst wurden alle Grundbedürfnisse (Nahrung, Wärme, Schutz) zur Selbstverständlichkeit, & nun sind es auch die Luxusgüter.
Aber Leben wird ihm nachhaltig als Problem bewusst gemacht, das zu lösen man auf der Welt ist. Egal ob in Medizin, Literatur, Kunst, Bildung, Politik – es geht um Fehler, Diagnosen, Defekte, Misslingen. Der Fokus liegt tendenziell (Ausnahmen bestätigen die Regel) auf dem Negativen und Schwierigen des Lebens & die einseitige Wahrnehmung der Welt unter diesen Aspekten ist zu einer gesellschaftlichen Plausibilität geworden. Die Darstellung des Glücks ist dafür weitgehend in den Kitsch ausgewandert. Die breite Vernetzung heutzutage macht es schwer, dieser Massenstimmung zu entkommen & sich eine individuelle Weltanschauung einzu-bilden.

 

Was nicht genug bedacht wird: die verheerenden psychischen Effekte!
Leben einseitig und vorrangig als etwas Problematisches, Gefährdetes, vom Misslingen Bedrohtes wahrzunehmen, raubt immense Kraft.

Kraft, die man bräuchte, um mit Problemen konstruktiv umzugehen. Denn es ist ja keine Frage, dass wir es im Leben immer wieder mit Problemen zu tun haben, z.B. in allen Dimensionen, in denen der Mensch seine Identität ausbildet (Beziehung, Beruf, Lebensstil, Gesellschaft, Freizeit).
Wir brauchen Kraft, um diese Probleme zu lösen, derer wir aber beraubt sind, sobald wir unseren Fokus nur mehr auf Erwähntes richten, & die Welt wahrnehmen als ein Knäuel verwickelter Probleme, das zu entwirren wir soundso unfähig sind.

 

Dr. Kurz ist im Rahmen seiner psychotherapeutischen Praxis aufgefallen, dass es kaum Menschen gelingt, neben ihren Problemen auch über die positiven Aspekte ihres Lebens zu sprechen, oder für etwas dankbar zu sein.
Der Fluch der Selbstverständlichkeit aller Güter zeigt sich darin, dass die guten Lebensumstände nicht mehr wahrgenommen werden. Im Gegensatz zur Dritten oder Vierten Welt kann man sich nicht mehr darüber freuen.

 

Wer sich selbst so in massiver Weise zum Problem geworden ist, kann sich nicht helfen, er hat die kreative Lösungsorientiertheit & Kraft dafür eingebüßt. Die Folgen sind Furcht und Angst.

 

Gerade in Zeiten, wo das Leben existenziell bedroht ist, ereilt den Menschen Angst. Er hat insgeheim das Gefühl, nie richtig gelebt zu haben (weil das Positive, das Vitale nicht wahrgenommen wurde), und fürchtet sich somit unbewusst, „mit leeren Händen“ & schon gehen zu müssen.

 

Um der Geschichte endlich eine positive Wendung zu geben: Was ist nun die Antwort darauf?
Es gilt, das Leben nicht nur als großes Problem, das es zu lösen gilt, zu erkennen, vielmehr als etwas, das zutiefst geheimnisvoll, reizvoll, in einer Fülle von Phänomenen in je besonderer Weise schön ist. Man denke an die Schönheit der Natur, den Zauber der Liebe oder die Lust in all ihren Ausprägungen.
Es mag ein wenig romantisch klingen, aber all das zu bemerken ist Voraussetzung dafür, dass der Mensch das Wichtigste entwickelt, was er im Leben entwickeln kann und soll: Liebe zum Leben.

 

Wie erfinderisch, vital, mutig und durchsetzungsfähig sind wir, wenn wir lieben! Die Liebe zum Leben zu wecken ist die beste Medizin.

 

Und noch etwas: Man muss nicht alles von sich selbst erwarten.
Tief in uns drinnen steckt ein Urvertrauen, vielleicht verschüttet oder verdeckt, doch ausgrabbar. Ein Vertrauen auf die Existenz einer Macht, die mir höchst Gutes will.
Sie ist die Kraft, die unbegrenzt ist und somit unsere Begrenztheit ergänzt. Sie ist, was die Linien unseres "Lebens-Gemäldes" vervollständigt. Ein Gemälde, das bis zum Schluss nicht fertig ist. Ein Gemälde, das immer mehr von uns zeigt, als wir selber verstehen können.

 


Ich hab den Artikel natürlich stark gekürzt, darum hoffe ich, man kann dem in etwa folgen, was Dr. Kurz aussagen will. Vor allem, damit ihr selber wahrnehmen könnt, wie bedeutend vieles davon für die Corona-Situation wäre.

 

 

Beschränkt man sich auf die Mainstream-Nachrichten zzt., könnte man meinen, wir sind einem Problem apokalyptischen Ausmaßes ausgeliefert, das zu lösen wir unfähig sind; das uns so fest in seiner Gewalt hat, dass uns nur eines übrigbleibt: uns zu verstecken.

 

Nur wenige alternative Medien trauen sich, hinter vorgehaltener Hand auch auf die Ambivalenz dieses Virus´ hinzuweisen: Dass sich da nicht nur negative Folgen abzeichnen, sondern bereits auch durchaus positive: die längst ausständige Erholung der Natur, der langsamer werdende Atem unserer schnelllebigen Zeit, eine Reduzierung des Lärmes & auch anderwärtiger Gefahren (z.B. starker Rückgang unfallbedingter Todesopfer).

 

Und dann sind da noch die noch-nicht-verwirklichten Möglichkeiten an Positivem, das potenzielle Sinnangebot!
Denn eins ist sicher: so viel Zeit zum Innehalten und Werte-nachspüren, um dann ins verantwortliche Tun zu kommen, hatten wir kollektiv gesehen noch nie.

 

Aber dazu brauchen wir Kraft.
Denn kraftlos tun wir genau das: uns vom Fernseher oder Handy ablenken, & uns somit wieder vom Negativen berieseln lassen. Was, wenn man Dr. Kurz´ Worten glaubt, einem circulus vitiosus, also einem Teufelskreis, gleicht:  kraftlos lassen wir uns von den Medien entvitalisieren.

 

Das Schöne, die Lust und die Liebe, es will sich uns gerade förmlich zeigen: das Wetter lockt uns in die Natur, die gerade nichts mehr ausstrahlt als Wiedergeburt & Energie. Die Zeit für Spiel und Spaß könnte unsere Kindlichkeit erneut ans Tageslicht bringen & somit die Lust am Leben. Und die Sorge um unsere Liebsten kann uns ihren Wert bewusst machen & unsere Liebe wiederbeleben. Gelegenheit, um es auch mal auszudrücken.

 

Und wenn wir mutig genug sind, können wir erahnen, wie gut es das Leben mit uns meint, indem es uns z.B. gerade jetzt soviele Sonnenstunden schickt, um uns mit Vitamin D und Energie zu stärken. Stärke, die wir gut brauchen können, um uns den Problemen verantwortlich zu stellen, die es ja auch noch gibt.
Vielleicht ging es dir auch so wie mir, & du hast in den letzten paar Minuten das Negative fast vergessen.  „Achja, das gibt es ja auch noch…“
Genau das ist der Platz, den es einnehmen sollte- nur den Beifahrersitz.

 

 

Kitschig, nicht? ;-)

 


Die Eierbäurin unseres Vertrauens hat neben ihrem Eierautomaten Palmkätzchen zur freien Entnahme bereitgestellt. Auf einen Zettel schrieb sie: "Gegen die Traurigkeit"
Die Eierbäurin unseres Vertrauens hat neben ihrem Eierautomaten Palmkätzchen zur freien Entnahme bereitgestellt. Auf einen Zettel schrieb sie: "Gegen die Traurigkeit"